From andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE Mon Apr 28 09:18:12 2008 From: andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE (Andreas Nolda) Date: Mon, 28 Apr 2008 11:18:12 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen Message-ID: Liebe Kollegen, nach der gängigen IL-Analyse sind Partikelverben wie _einkaufen_W das Produkt einer syntaktischen Wortbildung: Die einfachen Formen von _einkaufen_W sind gebildet durch Verkettung der Partikel _ein_1 mit einer (bereits morphologisch flektierten) einfachen Form von _kaufen_W. (Vgl. z. B. Lieb 2006 zu _aufwachen_W.) Die einfachen Formen von _einkaufen_W sind somit alle syntaktisch zweigliedrig: _ein_1 _kaufen_2, _ein_1 _kaufe_2 usw. Daraus folgt, dass es zu _einkaufen_W keine Flexionsstammformen gibt, die _ein_1 enthalten: _einkaufen_W wird nur syntaktisch flektiert zur Bildung seiner zusammengesetzten Formen; seine einfachen Formen sind ja das Ergebnis der Verkettung von _ein_1 mit den einfachen Formen von _kaufen_W. Bei der _-er_-Suffigierung tritt allerdings die Basis _ein_1 _käuf_2 auf (mit dem Derivationsprodukt _Einkäufer_W). Es stellt sich nun die Frage nach dem Status von _ein_1 _käuf_2. Ist dies eine Stammform (eine Wortbildungsstammform) eines Lexems _einkauf_L, das somit zwar (mindestens) eine Wortbildungsstammform hätte, aber keine Flexionsstammformen? Oder ist _ein_1 _käuf_2 eine Stammgruppe, die von keinem Lexem eine Stammform ist? In diesem Fall wäre die Bildung von _Einkäufer_W weniger einer _-er_-Derivation vom Typ _Verkäufer_W ähnlich als vielmehr einer Zusammenbildung vom Typ _Staubsauger_W. Wie sehen das die anderen Listenabonnenten? Mit besten Grüßen, Andreas Nolda Lieb, Hans-Heinrich (2006). "Wortbildung auf morphologischer und Wortbildung auf syntaktischer Grundlage". Vortrag an der 28. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft in Bielefeld vom 23. Februar 2006. -- Dr. Andreas Nolda http://www.linguistik.hu-berlin.de/~nolda/ Humboldt-Universität zu Berlin Philosophische Fakultät II Institut für deutsche Sprache und Linguistik From lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE Mon Apr 28 13:00:27 2008 From: lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE (Hans-Heinrich Lieb) Date: Mon, 28 Apr 2008 15:00:27 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen In-Reply-To: <200804281118.12788.andreas.nolda@cms.hu-berlin.de> Message-ID: Liebe Kollegen, bei meiner Email eben muß es natürlich zweimal "Flexionsstamm-Form" heißen und nicht "Flexionsstamm". Mit besten Grüßen Hans-Heinrich Lieb ————————————————————————————————————————————————————— Prof. Dr. Hans-Heinrich Lieb FREIE UNIVERSITÄT BERLIN FB Philosophie und Geisteswissenschaften Institut für Deutsche und Niederländische Philologie Habelschwerdter Allee 45 14195 BERLIN ————————————————————————————————————————————————————— lieb at zedat.fu-berlin.de Sekretariat (030) 838-54233 www.germanistik.fu-berlin.de/il/lieb.html ————————————————————————————————————————————————————— From lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE Mon Apr 28 12:45:56 2008 From: lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE (Hans-Heinrich Lieb) Date: Mon, 28 Apr 2008 14:45:56 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen In-Reply-To: <200804281118.12788.andreas.nolda@cms.hu-berlin.de> Message-ID: Liebe Kollegen, es handelt sich hier tatsächlich um etwas, was ich in meiner revidierten Wortbildungstheorie zwar bedacht, aber nie formuliert habe. Gegen Noldas Beispiel könnte man noch Einwände erheben, ich möchte es daher durch ein anderes ersetzen, welches das Problem unwiderleglich aufwirft: anlasserW, beim Auto, "Instrument zum Starten des Motors". Wortbildungsmäßig MUSS dies von anlassenW hergeleitet werden, nicht umgekehrt. er-Bildungen lassen Stammgruppen als Basis zu, aber eine Stammgruppe ist hier sowohl im Hinblick auf die eben genannte Forderung unplausibel als auch im Hinblick auf die in ihr auftretenden morphologischen Funktionen und deren eventuellen semantischen Gehalt: Die Stammgruppe MÜSSTE die Bedeutung "Motor starten" haben, die sich kompositionell nicht mehr ergibt. Andererseits läßt die Theorie Stammformen zu, die keine Flexionsformen sind, und verlangt auch nicht, daß es in jedem Lexemparadigma Flexionsformen gibt oder daß es zu jedem Stammformparadigman ein entsprechendes Wortparadigma geben muß. (Umgekehrt hat jedes nicht-idiomatische Wortparadigma genau ein Stammformen-Paradigma.) Somit setze ich eine Stammform an1 lass2 an. Diese Stammform wird durch Abkürzung (ein Stammform-Bildungsprozeß, in einer ihrer beiden Formen) aus der Verbform an1 lassen2 gewonnen. Jeder Stammformbildungsprozeß muß (bei Wortbildung) bedeutungsverändernd sein. Bei Abkürzung ist diese Bedingung nur scheinbar verletzt; die semantische Funktion ist Extensionalisierung, d.h. der Inhalt des neuen Begriffs besteht aus der Eigenschaft, zur Extension des alten Begriffs zu gehören; alter und neuer Begriff sind damit logisch äquivalent. Von an1 lass2 mit dieser Bedeutung wird nun durch (morphologische) Derivation mit er unter Verwendung einer semantischen Funktion Instrument die Stammform an1 lass2 er3 mit der gewünschten Bedeutung gebildet. Das Beispiel von Herrn Nolda enthält eine unwesentliche Komplikation, Auftreten des Umlauts. Dieser kann in der jetzigen Fassung meiner Wortbildungstheorie in einem solchen Fall im Zuge der er-Derivation eingeführt werden, die auf ein1 kauf2 operiert. Die formalen Einzelheiten spare ich mir hier. Leider war mein für den Sammelband ursprünglich geplanter Beitrag über Wortbildung viel zu lang, so daß ich ihn nun in anderm Zusammenhang bringen muß. Mit bestem Grüßen, Hans-Heinrich Lieb Date sent: Mon, 28 Apr 2008 11:18:12 +0200 Send reply to: Discussion of topics in Integrational Linguistics From: Andreas Nolda Organization: Humboldt-Universität zu Berlin Subject: Stammformen und Stammgruppen To: IL-LIST at LISTSERV.LINGUISTLIST.ORG Liebe Kollegen, nach der gängigen IL-Analyse sind Partikelverben wie _einkaufen_W das Produkt einer syntaktischen Wortbildung: Die einfachen Formen von _einkaufen_W sind gebildet durch Verkettung der Partikel _ein_1 mit einer (bereits morphologisch flektierten) einfachen Form von _kaufen_W. (Vgl. z. B. Lieb 2006 zu _aufwachen_W.) Die einfachen Formen von _einkaufen_W sind somit alle syntaktisch zweigliedrig: _ein_1 _kaufen_2, _ein_1 _kaufe_2 usw. Daraus folgt, dass es zu _einkaufen_W keine Flexionsstammformen gibt, die _ein_1 enthalten: _einkaufen_W wird nur syntaktisch flektiert zur Bildung seiner zusammengesetzten Formen; seine einfachen Formen sind ja das Ergebnis der Verkettung von _ein_1 mit den einfachen Formen von _kaufen_W. Bei der _-er_-Suffigierung tritt allerdings die Basis _ein_1 _käuf_2 auf (mit dem Derivationsprodukt _Einkäufer_W). Es stellt sich nun die Frage nach dem Status von _ein_1 _käuf_2. Ist dies eine Stammform (eine Wortbildungsstammform) eines Lexems _einkauf_L, das somit zwar (mindestens) eine Wortbildungsstammform hätte, aber keine Flexionsstammformen? Oder ist _ein_1 _käuf_2 eine Stammgruppe, die von keinem Lexem eine Stammform ist? In diesem Fall wäre die Bildung von _Einkäufer_W weniger einer _-er_-Derivation vom Typ _Verkäufer_W ähnlich als vielmehr einer Zusammenbildung vom Typ _Staubsauger_W. Wie sehen das die anderen Listenabonnenten? Mit besten Grüßen, Andreas Nolda Lieb, Hans-Heinrich (2006). "Wortbildung auf morphologischer und Wortbildung auf syntaktischer Grundlage". Vortrag an der 28. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft in Bielefeld vom 23. Februar 2006. -- Dr. Andreas Nolda http://www.linguistik.hu-berlin.de/~nolda/ Humboldt-Universität zu Berlin Philosophische Fakultät II Institut für deutsche Sprache und Linguistik ————————————————————————————————————————————————————— Prof. Dr. Hans-Heinrich Lieb FREIE UNIVERSITÄT BERLIN FB Philosophie und Geisteswissenschaften Institut für Deutsche und Niederländische Philologie Habelschwerdter Allee 45 14195 BERLIN ————————————————————————————————————————————————————— lieb at zedat.fu-berlin.de Sekretariat (030) 838-54233 www.germanistik.fu-berlin.de/il/lieb.html ————————————————————————————————————————————————————— From andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE Mon Apr 28 13:56:34 2008 From: andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE (Andreas Nolda) Date: Mon, 28 Apr 2008 15:56:34 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen In-Reply-To: <4815E324.21794.BF2E81@lieb.zedat.fu-berlin.de> Message-ID: Hans-Heinrich Lieb schrieb: > Andererseits läßt die Theorie Stammformen zu, die keine > Flexionsformen sind, und verlangt auch nicht, daß es in jedem > Lexemparadigma Flexionsformen gibt oder daß es zu jedem > Stammformparadigman ein entsprechendes Wortparadigma geben muß. > (Umgekehrt hat jedes nicht-idiomatische Wortparadigma genau ein > Stammformen-Paradigma.) Muss jedes Stammformparadigma zugleich das Paradigma eines Lexems sein? Anders formuliert: Muss es zu jedem Stammformparadigma (mindestens) ein Lexem geben? Aus theoretischen Gründen wäre dies wünschenswert. Empirisch gesehen kann dies aber zu Schwierigkeiten führen. Nehmen wir als Beispiel eine sogenannte 'Präfixkonversion' wie _auftischen_W (ungefähr: 'auf den Tisch bringen') mit einem 'trennbaren Präfix' (also einer Partikel). Für die Bildung der einfachen Formen von _auftischen_W gibt es, soweit ich sehe, die folgenden beiden Alternativen. Entweder man setzt Flexionsstammformen wie _auf_1 _tisch_2 an. Dagegen spricht jedoch, dass sämtliche Formen von _auftischen_W syntaktisch trennbar und somit syntaktisch gebildet sind. Alternativ bildet man zunächst einfache Formen wie _tischen_1 unter Verwendung von Flexionsstammformen wie _tisch_1 und verkettet diese anschließend per Derivation mit _auf_. Hier ist jedoch unklar, was die begriffliche Bedeutung einer solchen Stammform sein könnte. (Was ist 'auftischen' minus 'auf'?) Damit ist ebenfalls unklar, ob man für diese Stammformen ein entsprechendes Lexem oder gar ein entsprechendes lexikalisches Wort ansetzen kann. Mit etwas ratlosen Grüßen, Andreas Nolda -- Dr. Andreas Nolda http://www.linguistik.hu-berlin.de/~nolda/ Humboldt-Universität zu Berlin Philosophische Fakultät II Institut für deutsche Sprache und Linguistik From andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE Mon Apr 28 14:45:50 2008 From: andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE (Andreas Nolda) Date: Mon, 28 Apr 2008 16:45:50 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen In-Reply-To: <200804281556.34890.andreas.nolda@cms.hu-berlin.de> Message-ID: Andreas Nolda schrieb: > Entweder man setzt Flexionsstammformen wie _auf_1 _tisch_2 an. > Dagegen spricht jedoch, dass sämtliche Formen von _auftischen_W > syntaktisch trennbar und somit syntaktisch gebildet sind. Eisenberg (1998) würde hier übrigens ungeachtet der Trennbarkeit eine StGr _auf_1 _tisch_2 ansetzen, mit der sich das Flexionsaffix verbindet (vgl. Eisenbergs Analyse von _abfuhrst_ auf S. 211; allerdings setzt Eisenberg bei Kombinationen aus Stf und Af generell StGr an). Andreas Nolda Eisenberg, Peter (1998). "Grundriß der deutschen Grammatik". Stuttgart: Metzler. Bd. 1: "Das Wort". -- Dr. Andreas Nolda http://www.linguistik.hu-berlin.de/~nolda/ Humboldt-Universität zu Berlin Philosophische Fakultät II Institut für deutsche Sprache und Linguistik From lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE Tue Apr 29 20:25:27 2008 From: lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE (Hans-Heinrich Lieb) Date: Tue, 29 Apr 2008 22:25:27 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen In-Reply-To: <200804281556.34890.andreas.nolda@cms.hu-berlin.de> Message-ID: Liebe Kollegen, es ist wirklich sehr schade, daß mein Wortbildungsbeitrag zu lang war, um aufgenommen werden zu können. Manche Fragen wären dann wohl gar nicht mehr aufgekommen. Also: auftischenW unterscheidet sich wortbildungsmäßig nicht von anlassenW; es ist gebildet durch syntaktische Derivation mit einer Partikel aufW von einem Verb tischenW. Unterschiede bestehen nur zwischen lassenW und tischenW. 1. Das (intransitive) Verb tischenW in der Bedeutung .tisch decken. ist in manchen Varietäten gebräuchlich (schweiz.), aber nicht in allen, in denen auftischenW gebräuchlich ist. Dies bedeutet aber nur, daß im Wortschatz grundsätzlich ein nicht-gebräuchlicher Teil zuzulassen ist, was auch sonst zu fordern ist. lassenW gehört überall zum gebräuchlichen Teil des Wortschatzes. 2. Die einzige Wortstamm-Form zu dem Verb wird durch morphologische Konversion von der Basis tisch1 .tisch. gebildet, mit einer semantischen Funktion, die als Bedeutung liefert: .tisch decken. (Vgl. fisch1 .fisch. zu fisch1 .fisch fangen.) Die Stammformen zu lassenW sind keinem Wortbildungsprozeß unterworfen. Die syntaktische Derivation liefert dann einfache Wortformen wie auf1 tische2 mit der Bedeutung .tisch decke mit. als Formen des transitiven Verbs auftischenW. (Vgl. wiederum fischenW intransitiv, auffischenW transitiv, mit einer weiteren Bedeutungsentwicklung. aufW entspricht insofern upW bei den Postpartikelverben des Englischen in einer seiner Verwendungen.) Mit den besten Grüßen Hans-Heinrich Lieb ————————————————————————————————————————————————————— Prof. Dr. Hans-Heinrich Lieb FREIE UNIVERSITÄT BERLIN FB Philosophie und Geisteswissenschaften Institut für Deutsche und Niederländische Philologie Habelschwerdter Allee 45 14195 BERLIN ————————————————————————————————————————————————————— lieb at zedat.fu-berlin.de Sekretariat (030) 838-54233 www.germanistik.fu-berlin.de/il/lieb.html ————————————————————————————————————————————————————— From andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE Mon Apr 28 09:18:12 2008 From: andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE (Andreas Nolda) Date: Mon, 28 Apr 2008 11:18:12 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen Message-ID: Liebe Kollegen, nach der g?ngigen IL-Analyse sind Partikelverben wie _einkaufen_W das Produkt einer syntaktischen Wortbildung: Die einfachen Formen von _einkaufen_W sind gebildet durch Verkettung der Partikel _ein_1 mit einer (bereits morphologisch flektierten) einfachen Form von _kaufen_W. (Vgl. z. B. Lieb 2006 zu _aufwachen_W.) Die einfachen Formen von _einkaufen_W sind somit alle syntaktisch zweigliedrig: _ein_1 _kaufen_2, _ein_1 _kaufe_2 usw. Daraus folgt, dass es zu _einkaufen_W keine Flexionsstammformen gibt, die _ein_1 enthalten: _einkaufen_W wird nur syntaktisch flektiert zur Bildung seiner zusammengesetzten Formen; seine einfachen Formen sind ja das Ergebnis der Verkettung von _ein_1 mit den einfachen Formen von _kaufen_W. Bei der _-er_-Suffigierung tritt allerdings die Basis _ein_1 _k?uf_2 auf (mit dem Derivationsprodukt _Eink?ufer_W). Es stellt sich nun die Frage nach dem Status von _ein_1 _k?uf_2. Ist dies eine Stammform (eine Wortbildungsstammform) eines Lexems _einkauf_L, das somit zwar (mindestens) eine Wortbildungsstammform h?tte, aber keine Flexionsstammformen? Oder ist _ein_1 _k?uf_2 eine Stammgruppe, die von keinem Lexem eine Stammform ist? In diesem Fall w?re die Bildung von _Eink?ufer_W weniger einer _-er_-Derivation vom Typ _Verk?ufer_W ?hnlich als vielmehr einer Zusammenbildung vom Typ _Staubsauger_W. Wie sehen das die anderen Listenabonnenten? Mit besten Gr??en, Andreas Nolda Lieb, Hans-Heinrich (2006). "Wortbildung auf morphologischer und Wortbildung auf syntaktischer Grundlage". Vortrag an der 28. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft f?r Sprachwissenschaft in Bielefeld vom 23. Februar 2006. -- Dr. Andreas Nolda http://www.linguistik.hu-berlin.de/~nolda/ Humboldt-Universit?t zu Berlin Philosophische Fakult?t II Institut f?r deutsche Sprache und Linguistik From lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE Mon Apr 28 13:00:27 2008 From: lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE (Hans-Heinrich Lieb) Date: Mon, 28 Apr 2008 15:00:27 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen In-Reply-To: <200804281118.12788.andreas.nolda@cms.hu-berlin.de> Message-ID: Liebe Kollegen, bei meiner Email eben mu? es nat?rlich zweimal "Flexionsstamm-Form" hei?en und nicht "Flexionsstamm". Mit besten Gr??en Hans-Heinrich Lieb ????????????????????????????????????????????????????? Prof. Dr. Hans-Heinrich Lieb FREIE UNIVERSIT?T BERLIN FB Philosophie und Geisteswissenschaften Institut f?r Deutsche und Niederl?ndische Philologie Habelschwerdter Allee 45 14195 BERLIN ????????????????????????????????????????????????????? lieb at zedat.fu-berlin.de Sekretariat (030) 838-54233 www.germanistik.fu-berlin.de/il/lieb.html ????????????????????????????????????????????????????? From lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE Mon Apr 28 12:45:56 2008 From: lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE (Hans-Heinrich Lieb) Date: Mon, 28 Apr 2008 14:45:56 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen In-Reply-To: <200804281118.12788.andreas.nolda@cms.hu-berlin.de> Message-ID: Liebe Kollegen, es handelt sich hier tats?chlich um etwas, was ich in meiner revidierten Wortbildungstheorie zwar bedacht, aber nie formuliert habe. Gegen Noldas Beispiel k?nnte man noch Einw?nde erheben, ich m?chte es daher durch ein anderes ersetzen, welches das Problem unwiderleglich aufwirft: anlasserW, beim Auto, "Instrument zum Starten des Motors". Wortbildungsm??ig MUSS dies von anlassenW hergeleitet werden, nicht umgekehrt. er-Bildungen lassen Stammgruppen als Basis zu, aber eine Stammgruppe ist hier sowohl im Hinblick auf die eben genannte Forderung unplausibel als auch im Hinblick auf die in ihr auftretenden morphologischen Funktionen und deren eventuellen semantischen Gehalt: Die Stammgruppe M?SSTE die Bedeutung "Motor starten" haben, die sich kompositionell nicht mehr ergibt. Andererseits l??t die Theorie Stammformen zu, die keine Flexionsformen sind, und verlangt auch nicht, da? es in jedem Lexemparadigma Flexionsformen gibt oder da? es zu jedem Stammformparadigman ein entsprechendes Wortparadigma geben mu?. (Umgekehrt hat jedes nicht-idiomatische Wortparadigma genau ein Stammformen-Paradigma.) Somit setze ich eine Stammform an1 lass2 an. Diese Stammform wird durch Abk?rzung (ein Stammform-Bildungsproze?, in einer ihrer beiden Formen) aus der Verbform an1 lassen2 gewonnen. Jeder Stammformbildungsproze? mu? (bei Wortbildung) bedeutungsver?ndernd sein. Bei Abk?rzung ist diese Bedingung nur scheinbar verletzt; die semantische Funktion ist Extensionalisierung, d.h. der Inhalt des neuen Begriffs besteht aus der Eigenschaft, zur Extension des alten Begriffs zu geh?ren; alter und neuer Begriff sind damit logisch ?quivalent. Von an1 lass2 mit dieser Bedeutung wird nun durch (morphologische) Derivation mit er unter Verwendung einer semantischen Funktion Instrument die Stammform an1 lass2 er3 mit der gew?nschten Bedeutung gebildet. Das Beispiel von Herrn Nolda enth?lt eine unwesentliche Komplikation, Auftreten des Umlauts. Dieser kann in der jetzigen Fassung meiner Wortbildungstheorie in einem solchen Fall im Zuge der er-Derivation eingef?hrt werden, die auf ein1 kauf2 operiert. Die formalen Einzelheiten spare ich mir hier. Leider war mein f?r den Sammelband urspr?nglich geplanter Beitrag ?ber Wortbildung viel zu lang, so da? ich ihn nun in anderm Zusammenhang bringen mu?. Mit bestem Gr??en, Hans-Heinrich Lieb Date sent: Mon, 28 Apr 2008 11:18:12 +0200 Send reply to: Discussion of topics in Integrational Linguistics From: Andreas Nolda Organization: Humboldt-Universit?t zu Berlin Subject: Stammformen und Stammgruppen To: IL-LIST at LISTSERV.LINGUISTLIST.ORG Liebe Kollegen, nach der g?ngigen IL-Analyse sind Partikelverben wie _einkaufen_W das Produkt einer syntaktischen Wortbildung: Die einfachen Formen von _einkaufen_W sind gebildet durch Verkettung der Partikel _ein_1 mit einer (bereits morphologisch flektierten) einfachen Form von _kaufen_W. (Vgl. z. B. Lieb 2006 zu _aufwachen_W.) Die einfachen Formen von _einkaufen_W sind somit alle syntaktisch zweigliedrig: _ein_1 _kaufen_2, _ein_1 _kaufe_2 usw. Daraus folgt, dass es zu _einkaufen_W keine Flexionsstammformen gibt, die _ein_1 enthalten: _einkaufen_W wird nur syntaktisch flektiert zur Bildung seiner zusammengesetzten Formen; seine einfachen Formen sind ja das Ergebnis der Verkettung von _ein_1 mit den einfachen Formen von _kaufen_W. Bei der _-er_-Suffigierung tritt allerdings die Basis _ein_1 _k?uf_2 auf (mit dem Derivationsprodukt _Eink?ufer_W). Es stellt sich nun die Frage nach dem Status von _ein_1 _k?uf_2. Ist dies eine Stammform (eine Wortbildungsstammform) eines Lexems _einkauf_L, das somit zwar (mindestens) eine Wortbildungsstammform h?tte, aber keine Flexionsstammformen? Oder ist _ein_1 _k?uf_2 eine Stammgruppe, die von keinem Lexem eine Stammform ist? In diesem Fall w?re die Bildung von _Eink?ufer_W weniger einer _-er_-Derivation vom Typ _Verk?ufer_W ?hnlich als vielmehr einer Zusammenbildung vom Typ _Staubsauger_W. Wie sehen das die anderen Listenabonnenten? Mit besten Gr??en, Andreas Nolda Lieb, Hans-Heinrich (2006). "Wortbildung auf morphologischer und Wortbildung auf syntaktischer Grundlage". Vortrag an der 28. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft f?r Sprachwissenschaft in Bielefeld vom 23. Februar 2006. -- Dr. Andreas Nolda http://www.linguistik.hu-berlin.de/~nolda/ Humboldt-Universit?t zu Berlin Philosophische Fakult?t II Institut f?r deutsche Sprache und Linguistik ????????????????????????????????????????????????????? Prof. Dr. Hans-Heinrich Lieb FREIE UNIVERSIT?T BERLIN FB Philosophie und Geisteswissenschaften Institut f?r Deutsche und Niederl?ndische Philologie Habelschwerdter Allee 45 14195 BERLIN ????????????????????????????????????????????????????? lieb at zedat.fu-berlin.de Sekretariat (030) 838-54233 www.germanistik.fu-berlin.de/il/lieb.html ????????????????????????????????????????????????????? From andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE Mon Apr 28 13:56:34 2008 From: andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE (Andreas Nolda) Date: Mon, 28 Apr 2008 15:56:34 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen In-Reply-To: <4815E324.21794.BF2E81@lieb.zedat.fu-berlin.de> Message-ID: Hans-Heinrich Lieb schrieb: > Andererseits l??t die Theorie Stammformen zu, die keine > Flexionsformen sind, und verlangt auch nicht, da? es in jedem > Lexemparadigma Flexionsformen gibt oder da? es zu jedem > Stammformparadigman ein entsprechendes Wortparadigma geben mu?. > (Umgekehrt hat jedes nicht-idiomatische Wortparadigma genau ein > Stammformen-Paradigma.) Muss jedes Stammformparadigma zugleich das Paradigma eines Lexems sein? Anders formuliert: Muss es zu jedem Stammformparadigma (mindestens) ein Lexem geben? Aus theoretischen Gr?nden w?re dies w?nschenswert. Empirisch gesehen kann dies aber zu Schwierigkeiten f?hren. Nehmen wir als Beispiel eine sogenannte 'Pr?fixkonversion' wie _auftischen_W (ungef?hr: 'auf den Tisch bringen') mit einem 'trennbaren Pr?fix' (also einer Partikel). F?r die Bildung der einfachen Formen von _auftischen_W gibt es, soweit ich sehe, die folgenden beiden Alternativen. Entweder man setzt Flexionsstammformen wie _auf_1 _tisch_2 an. Dagegen spricht jedoch, dass s?mtliche Formen von _auftischen_W syntaktisch trennbar und somit syntaktisch gebildet sind. Alternativ bildet man zun?chst einfache Formen wie _tischen_1 unter Verwendung von Flexionsstammformen wie _tisch_1 und verkettet diese anschlie?end per Derivation mit _auf_. Hier ist jedoch unklar, was die begriffliche Bedeutung einer solchen Stammform sein k?nnte. (Was ist 'auftischen' minus 'auf'?) Damit ist ebenfalls unklar, ob man f?r diese Stammformen ein entsprechendes Lexem oder gar ein entsprechendes lexikalisches Wort ansetzen kann. Mit etwas ratlosen Gr??en, Andreas Nolda -- Dr. Andreas Nolda http://www.linguistik.hu-berlin.de/~nolda/ Humboldt-Universit?t zu Berlin Philosophische Fakult?t II Institut f?r deutsche Sprache und Linguistik From andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE Mon Apr 28 14:45:50 2008 From: andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE (Andreas Nolda) Date: Mon, 28 Apr 2008 16:45:50 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen In-Reply-To: <200804281556.34890.andreas.nolda@cms.hu-berlin.de> Message-ID: Andreas Nolda schrieb: > Entweder man setzt Flexionsstammformen wie _auf_1 _tisch_2 an. > Dagegen spricht jedoch, dass s?mtliche Formen von _auftischen_W > syntaktisch trennbar und somit syntaktisch gebildet sind. Eisenberg (1998) w?rde hier ?brigens ungeachtet der Trennbarkeit eine StGr _auf_1 _tisch_2 ansetzen, mit der sich das Flexionsaffix verbindet (vgl. Eisenbergs Analyse von _abfuhrst_ auf S. 211; allerdings setzt Eisenberg bei Kombinationen aus Stf und Af generell StGr an). Andreas Nolda Eisenberg, Peter (1998). "Grundri? der deutschen Grammatik". Stuttgart: Metzler. Bd.?1: "Das Wort". -- Dr. Andreas Nolda http://www.linguistik.hu-berlin.de/~nolda/ Humboldt-Universit?t zu Berlin Philosophische Fakult?t II Institut f?r deutsche Sprache und Linguistik From lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE Tue Apr 29 20:25:27 2008 From: lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE (Hans-Heinrich Lieb) Date: Tue, 29 Apr 2008 22:25:27 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen In-Reply-To: <200804281556.34890.andreas.nolda@cms.hu-berlin.de> Message-ID: Liebe Kollegen, es ist wirklich sehr schade, da? mein Wortbildungsbeitrag zu lang war, um aufgenommen werden zu k?nnen. Manche Fragen w?ren dann wohl gar nicht mehr aufgekommen. Also: auftischenW unterscheidet sich wortbildungsm??ig nicht von anlassenW; es ist gebildet durch syntaktische Derivation mit einer Partikel aufW von einem Verb tischenW. Unterschiede bestehen nur zwischen lassenW und tischenW. 1. Das (intransitive) Verb tischenW in der Bedeutung .tisch decken. ist in manchen Variet?ten gebr?uchlich (schweiz.), aber nicht in allen, in denen auftischenW gebr?uchlich ist. Dies bedeutet aber nur, da? im Wortschatz grunds?tzlich ein nicht-gebr?uchlicher Teil zuzulassen ist, was auch sonst zu fordern ist. lassenW geh?rt ?berall zum gebr?uchlichen Teil des Wortschatzes. 2. Die einzige Wortstamm-Form zu dem Verb wird durch morphologische Konversion von der Basis tisch1 .tisch. gebildet, mit einer semantischen Funktion, die als Bedeutung liefert: .tisch decken. (Vgl. fisch1 .fisch. zu fisch1 .fisch fangen.) Die Stammformen zu lassenW sind keinem Wortbildungsproze? unterworfen. Die syntaktische Derivation liefert dann einfache Wortformen wie auf1 tische2 mit der Bedeutung .tisch decke mit. als Formen des transitiven Verbs auftischenW. (Vgl. wiederum fischenW intransitiv, auffischenW transitiv, mit einer weiteren Bedeutungsentwicklung. aufW entspricht insofern upW bei den Postpartikelverben des Englischen in einer seiner Verwendungen.) Mit den besten Gr??en Hans-Heinrich Lieb ????????????????????????????????????????????????????? Prof. Dr. Hans-Heinrich Lieb FREIE UNIVERSIT?T BERLIN FB Philosophie und Geisteswissenschaften Institut f?r Deutsche und Niederl?ndische Philologie Habelschwerdter Allee 45 14195 BERLIN ????????????????????????????????????????????????????? lieb at zedat.fu-berlin.de Sekretariat (030) 838-54233 www.germanistik.fu-berlin.de/il/lieb.html ?????????????????????????????????????????????????????