From monika.budde at TU-BERLIN.DE Thu May 1 14:48:35 2008 From: monika.budde at TU-BERLIN.DE (Monika Budde) Date: Thu, 1 May 2008 16:48:35 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen Message-ID: Liebe Kollegen, zunächst zu den Fragen von Herrn Nolda: >Muss jedes Stammformparadigma zugleich das Paradigma eines Lexems >sein? Anders formuliert: Muss es zu jedem Stammformparadigma >(mindestens) ein Lexem geben? Aus theoretischen Gründen wäre dies >wünschenswert. Wenn dies aufgegeben wird, dann würde "Lexem" nicht mehr analog zu "Lexikalisches Wort (LW)" definiert werden können - und ich wage zu bezweifeln, ob dann überhaupt noch eine überzeugende Definition für "Lexem" möglich ist. Die Definierbarkeit von "Lex. Wort" und implizit auch von "Lexem" sowie der definitorische Zusammenhang mit den Paradigmen gehört m.E. zu den wirklich bahnbrechenden Ergebnissen von Lieb (1992) ["Paradigma und Klassifikation..." in ZS 11, S. 3-46]. Dies aufzugeben würde heißen, ein, wenn nicht sogar das Herzstück der IL-Theorie des Lexikons aufzugeben. Zu dem Beispiel _auf_ _tischen_W: Die Lösung von Herrn Lieb ist m.E. noch nicht ganz befriedigend: >1. Das (intransitive) Verb tischenW in der Bedeutung .tisch decken. ist in >manchen Varietäten gebräuchlich (schweiz.), aber nicht in allen, in denen >auftischenW gebräuchlich ist. Dies bedeutet aber nur, dass im Wortschatz >grundsätzlich ein nicht-gebräuchlicher Teil zuzulassen ist, was auch sonst zu >fordern ist. Dies ist m.E. (1) ein problematischer Umgang mit dem Problem der innersprachlichen Variabilität und löst (2) auch das grundsätzliche Problem, dass Herr Nolda im Blick hatte, nicht: es ist ein Zufall, dass es (schweizer-)deutsche Idiolektsysteme gibt, in denen es ein Wort _tischen_W gibt, auf das man in diesem Fall zurückzugreifen erwägen kann. Ich versuche daher im folgenden zu skizzieren, wie ich selbst das Problem bisher gelöst habe: zu (1): Primär ist der 'Wortschatz eines Idiolekts', also LW(-,S) = die Menge der lexikalischen Wörter des Idiolektsystems S, davon ableitbar ist der Wortschatz einer Sprache bzw. Sprachvarietät. Zu unterscheiden sind zwei (echte) Teilmengen von LW(-,S): - das (endliche) Basislexikon von S = die Menge der wortbildungsmäßig synchron nicht herleitbaren Wörter (unterschiedliche Idiomatisierungsgrade sind zuzulassen, insbesondere kann es eine nur noch formale Transparenz geben); zwischen Elementen des Basislexikons können der Wortbildung ähnelnde Beziehungen bestehen, insbesondere dann, wenn die Idiomatisierung nur partiell ist (Bsp.: _ein_ _kaufen_W zu _kaufen_W) - das (endliche) Gebrauchslexikon von S = die Menge der (für einen jeden Benutzer von S) usualisierten Wörter, d.h. durch Usualisierung verändert sich ein Idiolektsystem S_1 zu einem Idiolektsystem S_2, es wird nicht einfach nur ein unterschiedlicher Gebrauch von ein und demselben Idiolektsystem gemacht. (Dieser Punkt ist im folgenden nicht wesentlich: hiervon hängt nur ab, ob man das folgende im 'systematischen' oder im pragmatischen Teil einer Theorie des Lexikons ansiedelt - mir ist noch nicht ganz klar, was davon vorzuziehen ist. Wenn man Blockierung als System-bezogenes und nicht als pragmatisches Phänomen ansieht, wird man Usualisierung wohl ebenfalls als System-bezogenes Phänomen behandeln wollen.) Die Endlichkeit ergibt sich aus der Endlichkeit eines jeden Speichermediums (Usualisierung ist eine Art von Speicherung). LW(-,S) ist dahingegen für deutsche gegenwartssprachliche Idiolektsysteme grundsätzlich unendlich (u.a. wegen der Rekursivität der Komposition im Deutschen). Es gilt: Gebrauchslexikon(-,S) ohne Basislexikon(-,S) = die Menge der wortbildungsmäßig volltransparenten usualisierten Wortbildungen (unabhängig von der Art der Wortbildung). LW(-,S) ohne Gebrauchslexikon(-,S) = die Menge der wortbildungsmäßig volltransparenten nicht-usualisierten Wortbildungen Außerhalb von LW(-,S) liegen nicht-reguläre Ad-hoc-Bildungen, die ggf aber ebenfalls usualisiert werden können und dann auch als Muster für Analogie-Bildungen verwendbar werden (_unplattbar_W zu _unkaputtbar_W in der Werbung für Fahrradreifen mit speziellem Pannenschutz). Genauer: einer Äußerung mit einer solchen nicht-regulären Ad-hoc-Bildung liegt ein 'Ad-hoc-System' mit einer 'Ad-hoc-Einzelfall-Regel' zugrunde, dem eine gewisse zeitliche Konstanz der Verwendung fehlt, die man bei Idiolektsystemen gewöhnlich wohl fordern wird. D.h. Ad-hoc-Bildungen führen immer über ein bis dahin verwendetes Idiolektsystem S hinaus zu einem System S'. Reguläre Konversion SUBST-ST -> VB-ST führt nun m.E. immer nur zu einer Bedeutung wie 'auf bezogene Tätigkeit ausführen' (+ Stellen für Valenz). _fischen_W mit der Bedeutung .Fisch(e) fangen. ist bereits idiomatisiert, ebenso _auf_ _tischen_W. Nebenbei: als Bedeutungsbeschreibung für _auf_ _tischen_W sollte entgegen dem Beitrag von Herrn Lieb nicht .tisch decken mit. verwendet werden: gedeckt werden Tische auch und vor allem mit Geschirr und Besteck (auf einem gedeckten Tisch können, müssen aber keine Speisen stehen), aufgetischt wird nur Essbares (jedenfalls kenne und gebrauche ich selbst diese beiden Verben nur so). _tischen_W mit der Bedeutung .auf Tisch(e) bezogene Tätigkeit ausführen. steht nun in jedem deutschen Idiolektsystem S mit dem Substantiv _tisch_W zur Verfügung. _auf_ _tischen_W ergibt sich aber nicht mehr kompositional aus _auf_W und _tischen_W. zu (2): Bei Analogie-Bildungen zu syntaktischen Bildungen kann es grundsätzlich zu Wortformen kommen, zu denen nur ein 'sekundäres Lexem' existiert: ein Lexem, das aus der Wortform rekonstruierbar ist, ihr theoretisch bzgl. der Wort*formen*bildung auch zugrundeliegt, aber nicht bzgl. der Wortbildung. Zurecht fragt Herr Nolda: > ...Hier ist jedoch unklar, >was die begriffliche Bedeutung einer solchen Stammform sein könnte. >(Was ist 'auftischen' minus 'auf'?) M.E. sollte man für solche Lexeme in der Tat solche 'subtraktiven Begriffe' vorsehen, die mit den besonderen Eigenschaften (Kombinatorik, Ursprung) unmittelbar zusammenhängen. >Damit ist ebenfalls unklar, ob >man für diese Stammformen ein entsprechendes Lexem oder gar ein >entsprechendes lexikalisches Wort ansetzen kann. Beides ist m.E. unproblematisch: zum Lexem s.o., und 'gebundene lexikalische Wörter' sollten mit Blick auf Wendungen vom Typ _fix und foxi_ ebenfalls grundsätzlich zugelassen werden. Ich hoffe, das trägt etwas zur Klärung bei. Viele Grüße Monika Budde From andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE Sat May 3 21:01:30 2008 From: andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE (Andreas Nolda) Date: Sat, 3 May 2008 23:01:30 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen In-Reply-To: <4815E324.21794.BF2E81@lieb.zedat.fu-berlin.de> Message-ID: Hans-Heinrich Lieb schrieb: > Andererseits läßt die Theorie Stammformen zu, die keine > Flexionsformen sind, und verlangt auch nicht, daß es in jedem > Lexemparadigma Flexionsformen gibt oder daß es zu jedem > Stammformparadigman ein entsprechendes Wortparadigma geben muß. > (Umgekehrt hat jedes nicht-idiomatische Wortparadigma genau ein > Stammformen-Paradigma.) > > Somit setze ich eine Stammform an1 lass2 an. > > Diese Stammform wird durch Abkürzung (ein Stammform-Bildungsprozeß, > in einer ihrer beiden Formen) aus der Verbform an1 lassen2 > gewonnen. Jeder Stammformbildungsprozeß muß (bei Wortbildung) > bedeutungsverändernd sein. Bei Abkürzung ist diese Bedingung nur > scheinbar verletzt; die semantische Funktion ist > Extensionalisierung, d.h. der Inhalt des neuen Begriffs besteht aus > der Eigenschaft, zur Extension des alten Begriffs zu gehören; alter > und neuer Begriff sind damit logisch äquivalent. Diesen Abkürzungsprozess finde ich nicht überzeugend. Das sieht mir zu sehr nach einer ad hoc-Lösung aus. Ich würde die Beobachtung, dass morphologische Wortbildung auf der Basis von 'Partikelverb-Stämmen' im Deutschen völlig regulär ist und im Prinzip nicht anders funktioniert als auf der Basis von Präfixverb-Stämmen, vielmehr zum Anlass für eine theoretische Ergänzung der bisherigen Theorie nehmen. Und zwar möchte ich vorschlagen, auch für Partikelverben wie _einkaufen_W und _anlassen_W (und ggfs. andere syntaktisch mehrgliedrige lexikalische Wörter) systematisch synonyme Stamm-Lexeme wie _einkauf_L und _anlass_L anzusetzen. Diese enthalten lediglich Wortbildungs-Stammformen (hier: _ein_1 _kauf_2 und _ein_1 _käuf_2 bzw. _an_1 _lass_2). Als Konsequenz davon gäbe es auch zu einigen (oder allen) 'idiomatischen' Wortparadigmen genau ein Stamm-Paradigma. Andreas Nolda -- Dr. Andreas Nolda http://www.linguistik.hu-berlin.de/~nolda/ Humboldt-Universität zu Berlin Philosophische Fakultät II Institut für deutsche Sprache und Linguistik From andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE Sat May 3 21:08:36 2008 From: andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE (Andreas Nolda) Date: Sat, 3 May 2008 23:08:36 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen In-Reply-To: <200805032301.30639.andreas.nolda@cms.hu-berlin.de> Message-ID: Andreas Nolda schrieb: > Und zwar möchte ich > vorschlagen, auch für Partikelverben wie _einkaufen_W und > _anlassen_W (und ggfs. andere syntaktisch mehrgliedrige > lexikalische Wörter) systematisch synonyme Stamm-Lexeme wie > _einkauf_L und _anlass_L anzusetzen. Diese enthalten lediglich > Wortbildungs-Stammformen (hier: _ein_1 _kauf_2 und _ein_1 _käuf_2 > bzw. _an_1 _lass_2). Noch eine Klarstellung: Diese Wortbildungs-Stammformen sind nicht durch Abkürzung von _ein_1 _kaufen_2 bzw. _an_1 _lassen_2 gebildet, sondern durch Verkettung der Partikel mit der entsprechenden Stammform des zugrundeliegenden Basisverbs (_kauf_1/_käuf_1 bzw. _lass_1). Andreas Nolda -- Dr. Andreas Nolda http://www.linguistik.hu-berlin.de/~nolda/ Humboldt-Universität zu Berlin Philosophische Fakultät II Institut für deutsche Sprache und Linguistik From lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE Sun May 4 16:50:39 2008 From: lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE (Hans-Heinrich Lieb) Date: Sun, 4 May 2008 18:50:39 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen In-Reply-To: <200805032301.30639.andreas.nolda@cms.hu-berlin.de> Message-ID: Liebe Kollegen, den Vorschlag von Herrn Nolda finde ich meinerseits ad hoc, mit der Konsequenz einer ganz unnötigen Verdoppelung. In meiner unveröffentlichten Arbeit habe ich Abkürzung als Wortbildungsprozeß unabhängig von diesen Beispielen analysiert und hier auf einen anderen, von mir zunächst gar nicht bedachten Fall angewandt - damit kann man von ad hoc nicht mehr sprechen. Die Theorie sollte im übrigen Stammform-Bildung ausgehend von Wortformen oder anderen syntaktischen Einheiten genauso zulassen wie Stammform-Bildung auf rein morphologischer Basis. Die erste Möglichkeit einschränken zu wollen zugunsten der zweiten halte ich für ein verfehltes heuristisches Vorgehen. Im übrigen läßt sich für diese Problematik viel lernen aus mehreren Jahrzehnten Diskussion im Lexikalismus in der Generativen Grammatik; zusammengefaßt: bloß keine Abschottung! Also: Dieser Vorschlag meines geschätzten Kollegen hat mich ausnahmsweise nicht überzeugt, und ich möchte ihm meinerseits nicht zustimmen. Mit den besten Grüßen Hans-Heinrich Lieb ————————————————————————————————————————————————————— Prof. Dr. Hans-Heinrich Lieb FREIE UNIVERSITÄT BERLIN FB Philosophie und Geisteswissenschaften Institut für Deutsche und Niederländische Philologie Habelschwerdter Allee 45 14195 BERLIN ————————————————————————————————————————————————————— lieb at zedat.fu-berlin.de Sekretariat (030) 838-54233 www.germanistik.fu-berlin.de/il/lieb.html ————————————————————————————————————————————————————— From monika.budde at TU-BERLIN.DE Wed May 7 13:42:05 2008 From: monika.budde at TU-BERLIN.DE (Monika Budde) Date: Wed, 7 May 2008 15:42:05 +0200 Subject: Stf-Bildung mit Bedeutungsaenderung ( was: Stf und StGr) Message-ID: Liebe Kollegen, am 28.04.2008 schrieb Hans-Heinrich Lieb: >... Jeder >Stammformbildungsprozeß muß (bei Wortbildung) bedeutungsverändernd sein. Bei >Abkürzung ist diese Bedingung nur scheinbar verletzt; die semantische >Funktion ist Extensionalisierung, d.h. der Inhalt des neuen Begriffs besteht >aus der Eigenschaft, zur Extension des alten Begriffs zu gehören; alter und >neuer Begriff sind damit logisch äquivalent. Was ist die Motivation für die Forderung von Bedeutungsveränderung? Sie führt dazu, dass auch bei der Kurzwortbildung zu einem Appellativum wie _Lastkraftwagen_W (-> _LKW_W) oder _Information_W (-> _Info_W) Extensionalisierung auf der Bedeutungsseite angesetzt werden muß: Gebildet werden Wortstämme, zu denen dann das Kurzwort gebildet wird (sonst wäre die Pluralbildung kaum zu verstehen), wobei sich die Bedeutung der Ausgangseinheit und des Kurzwortes 'nicht unterscheiden' (Sinn des Abkürzens). Extensionalisierung sichert nun aber nur logische Äquivalenz, d.h. extensionale Gleichheit, nicht intensionale Gleichheit. Dies halte ich bei der Kurzwortbildung zu einem Appellativum für eine fragwürdige Konsequenz - u.a. auch deshalb, weil Sprecher das Kurzwort und seine Bedeutung kennen können, ohne das Langwort zu kennen. (Anm.: Bei der Kurzwortbildung zu Eigennamen (mit Bedeutungen vom Typ 'heißt ....') und bei der Kurzwortbildung zu echten syntaktischen Fügungen (mit syntaktischer Bedeutung) muss es zu semantischen Unterschieden kommen: Bei Eigennamen wird 'umgetauft', bei syntaktischen Fügungen muss aus der syntaktischen Bedeutung eine begriffliche Bedeutung gebildet werden.) Viele Grüße Monika Budde From monika.budde at TU-BERLIN.DE Wed May 7 13:45:49 2008 From: monika.budde at TU-BERLIN.DE (Monika Budde) Date: Wed, 7 May 2008 15:45:49 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen Message-ID: Liebe Kollegen, die letzte Diskussion -- ein Lexem _ein_ _kauf_-L als Abkürzung zu dem Wort _ein_ _kaufen_W oder als Verknüpfung von Partikel (oder Partikelstamm?) und Verbstamm, jeweils vermittelt über die entsprechenden Beziehungen zwischen den Formen -- wirft eine grundsätzliche Frage auf: die nach dem Status von (Wortbildungs-)Prozessen. Beschreibungstechnisch lassen Prozesse sich durch Relationen modellieren. Doch wenn diese Relationen mehr sein sollen als theoretische Konstrukte, muss man m.E. genauer werden: Wenn die Relationen einen (dynamischen) Prozess erfassen sollen, soll das Erfaßte (a) ein historischer oder (b) ein psychologischer Prozess sein? Im zweiten Fall: soll es sich um einen Prozess handeln, der (b1) in einem Erst-Erzeuger des WB-Produktes, (b2) in einem Erst-Hörer, (b3) in einem 'wiederholenden Erzeuger', (b4) in einem 'wiederholten Hörer' stattfindet? In der Literatur dienen Relationen außerdem noch (teils implizit, teils explizit) zur Beschreibung von (c) (statischem) Wissen der Sprachbenutzer, das beim Hervorbringen und Verstehen von Äußerungen eine Rolle spielt, wobei ich persönlich vorsichtig sein würde und das Wissen beim Hervorbringen nicht von vornherein mit dem Wissen beim Verstehen identifizieren würde. Wenn ich nichts übersehen habe, dann besteht innerhalb der IL inzwischen Einigkeit darüber, dass wir neben Konstituentenstrukturen der einen oder anderen Art WB-Relationen als mittelbare oder unmittelbare Idiolektsystem-Komponenten benötigen. Als solche sind WB-Relationen zunächst einmal extramentale Objekte. Und ohne Zusatzforderungen nach (a) - (c) 'bestehen' im Lexikon sowohl die Abkürzungsrelation nach Lieb wie die Verknüpfungsrelation nach Nolda: zur Diskussion steht also, (1) ob man in diesem Fall eine der beiden Relationen als 'relevant' auszeichnen kann, (2) welches der zugrundeliegende Gesichtspunkt bei dieser Auszeichnung ist, wobei möglicherweise nach verschiedenen Gesichtspunkten verschiedene Relationen auszeichnbar sind (die 'Existenz' der in Beziehung gesetzten Wörter und Stämme darf inzwischen als unabhängig gerechtfertigt gelten, so dass wir diese hier voraussetzen können: insofern gilt für beide zur Diskussion stehenden Auffassungen: "zu einigen (oder allen) 'idiomatischen' Wortparadigmen [gibt es] genau ein Stamm-Paradigma" (Nolda), denn *wenn* es zu einem 'idiomatischen' Wortparadigma ein Stammparadigma *der fraglichen Art* gibt, dann höchstens eines). Meine Vermutung: sowohl historische als auch psycholinguistische Überlegungen bzgl. (b1) und (b2) erlauben es in diesem Fall, die Abkürzungsrelation auszuzeichnen, und bei Idiomatisierungen wie _ein_ _kaufen_W dürfte sich dies auch durch psycholinguistische Überlegungen bzgl. (b3), (b4) und (c) stützen lassen. Zugleich läßt sich das gleichartige 'Funktionieren' von Partikel- und Präfixverben als Beteiligung an ein und derselben Relation auffassen (bei den Lexemen sind immer die entsprechenden Verbstämme gemeint): Es gibt ein R mit: <_ein_ _kaufen_W, _ein_ _kauf_L> el R, <_besuchen_W, _be_ _such_L> el R oder (in der Redeweise der 'Analogisten'): _ein_ _kaufen_W zu _ein_ _kauf_L wie _besuchen_W zu _be_ _such_L Der von R erfaßte Zusammenhang dürfte zum Inhalt des Wissens eines Sprechers des Deutschen gehören, das dieser z.B. beim Verstehen neuer Wörter ausnutzen kann (Strategien: Suche nach Analogien, Dekomposition): neben den hier betrachteten Idiomatisierungen gehören zu R auch volltransparente Wort-Lexem-Paare beiderlei Art (!). Auf der anderen Seite können wir daneben eine Relation R' annehmen mit: <_be_ _such_L, _besuchen_W> el R', <_ein_ _kauf_L, _ein_ _kaufen_W> nicht-el R' R' könnte die Relation 'ist Wortstamm von / dient zur Bildung der Formen von' sein. Damit kann die "morphologische Wortbildung auf der Basis von 'Partikelverb-Stämmen'" in der Tat ganz analog zu der bei Präfix-Verbstämmen beschrieben werden: Unterschiedlich ist nur die *Formenbildung* für das über R (rückwärts) verknüpfte Wort: ein Sprecher kann ganz 'regulär' (mit R) vom Vorkommen des Wortes auf ein Stammlexem schließen, das er dann als Ausgangspunkt für z.B. _er_-Derivationen verwenden kann. Dahingegen kann er nur im Falle der Präfixverben aus einem Stammlexem auch wieder auf das Wort zurückschließen (mit R'), nicht jedoch im Falle der Partikelverben. Im nächsten Schritt möchte ich nun dafür plädieren, dass auch die von Nolda vorgeschlagene Verknüpfungsrelation ihren Sinn hat: Sie erfasst ein Wissen über Strukturen und strukturelle Zusammenhänge, die sich mit einem Konstituentenstruktur-Modell (alter Art) gut beschreiben lassen: Das Lexem _ein_ _kauf_L enthält Stammformen _ein_ _kauf_ und _ein_ _käuf_, denen eine Strukturbeschreibung zugeordnet werden kann. Wegen der offensichtlichen Idiomatisierung kann in diesem Fall die Gesamtbedeutung nicht auf die Bedeutungen der Teile zurückgeführt werden, d.h.: _ein_ _kauf_ usw. sind nicht zugleich StGr (wenn wir wie in der Syntax die XGr als diejenigen morphologischen Einheiten auffassen, deren Bedeutung sich nach dem Kompositionalitätsprinzip ergibt). Auf der anderen Seite können wir in diesem Fall auf die morphologische Segmentierung wohl kaum verzichten, und zwar deshalb nicht, weil Sprecher _kauf_2 auch auf ein Lexem _kauf_L beziehen (können). D.h.: wir können _kauf_2 auch als Vorkommen einer _kauf_L-Form in _ein_ _kauf_ auffassen - und das heißt: mit einer Markierung, die sich aus dem Paradigma von _kauf_L in der gewohnten Weise ergibt. Es bleibt also noch der erste Teil von _ein_ _kauf_ zu beschreiben: ein unikales Element vergleichbar _him_ in _himbeere_ (Unterschied: es gibt noch eine formal vergleichbare Partikel mit der Bedeutung "hinein", die z.B. in _ein_ _steigen_ vorkommt; auf diese Partikel scheint das _ein_ in _ein_ _kaufen_ aber synchron - von Sprechern des Deutschen - nicht mehr bezogen zu werden; die folgende Überlegung würde aber auch mit dieser "hinein" bedeutenden Partikel funktionieren). Zur Beschreibung von _ein_ sehe ich grundsätzlich zwei Möglichkeiten: (i) Da wir syntaktische Teile von morphologischen Strukturen seinerzeit zugelassen haben, könnte es sich um das Vorkommen der 'unikalen Partikel' _ein_W handeln; oder (ii) wir gehen zurück auf den Stamm dieser Partikel, _ein_L, und hätten dann eine rein-morphologische Struktur. Nolda scheint (i) im Blick zu haben - und ich selbst neige ebenfalls dazu, ohne bisher einen wirklich durchschlagenden Grund zu sehen. (i) entspricht der 'Geschichte' des Lexems. Zusammenfassend ergibt sich dann die folgende Struktur (Markierungsstruktur nur angedeutet): __Stf__ | | Pf Stf ein kauf ... ... Mit Bezug auf Strukturen dieser Art besteht dann eine (3-stellige) Beziehung zwischen _ein_W, _kauf_-L, und _ein_ _kauf_-L. Sofern Strukturwissen 'psychologisch real' ist, lässt sich also auch diese Beziehung nach einem (c)-Gesichtspunkt als relevant ausweisen. Es bleibt noch die Frage der für _ein_ _kauf_-L anzusetzenden lexikalischen Bedeutung, die jedoch unabhängig von der Frage ist, welche Beziehungen zwischen den involvierten Wörtern und Lexemen bestehen. Falls die Annahme, dass Stammformenbildung bei Wortbildung immer bedeutungsverändernd ist, sich als gut motiviert erweist (s. meinen gesonderten Beitrag), kann man mit Lieb die Extensionalisierung der Bedeutung von _ein_ _kaufen_W annehmen (nur extensionale Synonymie): dies ist einfach die Bedeutung, die den Stammformen in der entsprechenden morpholog. Paradigmenbasis unmittelbar zugeordnet ist. (Durch die komplexen Zusammenhänge zwischen syntaktischem und morphologischem Teil des Lexikons ist die *systematische* Identifizierung der Paradigmenbasen alles andere als trivial, aber nicht grundsätzlich problematisch.) Nebenbei zeigen diese Beispiele und die Diskussion, dass mit der neuen prozessorientierten Sicht die alte strukturorientierte Sicht nicht einfach obsolet geworden ist: beide haben ihre Berechtigung, da sie jeweils unterschiedliche Aspekte der Bildung und Gebildetheit von Wörtern zu erfassen erlauben. Oder anders ausgedrückt: Ich möchte vermeiden, bei der neuen Sicht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ich hoffe, dass diese Differenzierungen etwas dazu beitragen konnten, die Diskussion wegzuführen von pauschalen Einwänden wie "ad hoc" und "unnötige Verdoppelung" und ungenauen Verweisen ("funktioniert nicht anders als") - auch wenn mein Beitrag dadurch schon wieder viel länger als geplant geworden ist. Viele Grüße Monika Budde From holfert at UNI-OSNABRUECK.DE Thu May 8 20:48:09 2008 From: holfert at UNI-OSNABRUECK.DE (Helena Olfert) Date: Thu, 8 May 2008 22:48:09 +0200 Subject: No subject Message-ID: could you please remove me from the list! thank you! From monika.budde at TU-BERLIN.DE Thu May 1 14:48:35 2008 From: monika.budde at TU-BERLIN.DE (Monika Budde) Date: Thu, 1 May 2008 16:48:35 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen Message-ID: Liebe Kollegen, zun?chst zu den Fragen von Herrn Nolda: >Muss jedes Stammformparadigma zugleich das Paradigma eines Lexems >sein? Anders formuliert: Muss es zu jedem Stammformparadigma >(mindestens) ein Lexem geben? Aus theoretischen Gr??nden w??re dies >w??nschenswert. Wenn dies aufgegeben wird, dann w?rde "Lexem" nicht mehr analog zu "Lexikalisches Wort (LW)" definiert werden k?nnen - und ich wage zu bezweifeln, ob dann ?berhaupt noch eine ?berzeugende Definition f?r "Lexem" m?glich ist. Die Definierbarkeit von "Lex. Wort" und implizit auch von "Lexem" sowie der definitorische Zusammenhang mit den Paradigmen geh?rt m.E. zu den wirklich bahnbrechenden Ergebnissen von Lieb (1992) ["Paradigma und Klassifikation..." in ZS 11, S. 3-46]. Dies aufzugeben w?rde hei?en, ein, wenn nicht sogar das Herzst?ck der IL-Theorie des Lexikons aufzugeben. Zu dem Beispiel _auf_ _tischen_W: Die L?sung von Herrn Lieb ist m.E. noch nicht ganz befriedigend: >1. Das (intransitive) Verb tischenW in der Bedeutung .tisch decken. ist in >manchen Variet?ten gebr?uchlich (schweiz.), aber nicht in allen, in denen >auftischenW gebr?uchlich ist. Dies bedeutet aber nur, dass im Wortschatz >grunds?tzlich ein nicht-gebr?uchlicher Teil zuzulassen ist, was auch sonst zu >fordern ist. Dies ist m.E. (1) ein problematischer Umgang mit dem Problem der innersprachlichen Variabilit?t und l?st (2) auch das grunds?tzliche Problem, dass Herr Nolda im Blick hatte, nicht: es ist ein Zufall, dass es (schweizer-)deutsche Idiolektsysteme gibt, in denen es ein Wort _tischen_W gibt, auf das man in diesem Fall zur?ckzugreifen erw?gen kann. Ich versuche daher im folgenden zu skizzieren, wie ich selbst das Problem bisher gel?st habe: zu (1): Prim?r ist der 'Wortschatz eines Idiolekts', also LW(-,S) = die Menge der lexikalischen W?rter des Idiolektsystems S, davon ableitbar ist der Wortschatz einer Sprache bzw. Sprachvariet?t. Zu unterscheiden sind zwei (echte) Teilmengen von LW(-,S): - das (endliche) Basislexikon von S = die Menge der wortbildungsm??ig synchron nicht herleitbaren W?rter (unterschiedliche Idiomatisierungsgrade sind zuzulassen, insbesondere kann es eine nur noch formale Transparenz geben); zwischen Elementen des Basislexikons k?nnen der Wortbildung ?hnelnde Beziehungen bestehen, insbesondere dann, wenn die Idiomatisierung nur partiell ist (Bsp.: _ein_ _kaufen_W zu _kaufen_W) - das (endliche) Gebrauchslexikon von S = die Menge der (f?r einen jeden Benutzer von S) usualisierten W?rter, d.h. durch Usualisierung ver?ndert sich ein Idiolektsystem S_1 zu einem Idiolektsystem S_2, es wird nicht einfach nur ein unterschiedlicher Gebrauch von ein und demselben Idiolektsystem gemacht. (Dieser Punkt ist im folgenden nicht wesentlich: hiervon h?ngt nur ab, ob man das folgende im 'systematischen' oder im pragmatischen Teil einer Theorie des Lexikons ansiedelt - mir ist noch nicht ganz klar, was davon vorzuziehen ist. Wenn man Blockierung als System-bezogenes und nicht als pragmatisches Ph?nomen ansieht, wird man Usualisierung wohl ebenfalls als System-bezogenes Ph?nomen behandeln wollen.) Die Endlichkeit ergibt sich aus der Endlichkeit eines jeden Speichermediums (Usualisierung ist eine Art von Speicherung). LW(-,S) ist dahingegen f?r deutsche gegenwartssprachliche Idiolektsysteme grunds?tzlich unendlich (u.a. wegen der Rekursivit?t der Komposition im Deutschen). Es gilt: Gebrauchslexikon(-,S) ohne Basislexikon(-,S) = die Menge der wortbildungsm??ig volltransparenten usualisierten Wortbildungen (unabh?ngig von der Art der Wortbildung). LW(-,S) ohne Gebrauchslexikon(-,S) = die Menge der wortbildungsm??ig volltransparenten nicht-usualisierten Wortbildungen Au?erhalb von LW(-,S) liegen nicht-regul?re Ad-hoc-Bildungen, die ggf aber ebenfalls usualisiert werden k?nnen und dann auch als Muster f?r Analogie-Bildungen verwendbar werden (_unplattbar_W zu _unkaputtbar_W in der Werbung f?r Fahrradreifen mit speziellem Pannenschutz). Genauer: einer ?u?erung mit einer solchen nicht-regul?ren Ad-hoc-Bildung liegt ein 'Ad-hoc-System' mit einer 'Ad-hoc-Einzelfall-Regel' zugrunde, dem eine gewisse zeitliche Konstanz der Verwendung fehlt, die man bei Idiolektsystemen gew?hnlich wohl fordern wird. D.h. Ad-hoc-Bildungen f?hren immer ?ber ein bis dahin verwendetes Idiolektsystem S hinaus zu einem System S'. Regul?re Konversion SUBST-ST -> VB-ST f?hrt nun m.E. immer nur zu einer Bedeutung wie 'auf bezogene T?tigkeit ausf?hren' (+ Stellen f?r Valenz). _fischen_W mit der Bedeutung .Fisch(e) fangen. ist bereits idiomatisiert, ebenso _auf_ _tischen_W. Nebenbei: als Bedeutungsbeschreibung f?r _auf_ _tischen_W sollte entgegen dem Beitrag von Herrn Lieb nicht .tisch decken mit. verwendet werden: gedeckt werden Tische auch und vor allem mit Geschirr und Besteck (auf einem gedeckten Tisch k?nnen, m?ssen aber keine Speisen stehen), aufgetischt wird nur Essbares (jedenfalls kenne und gebrauche ich selbst diese beiden Verben nur so). _tischen_W mit der Bedeutung .auf Tisch(e) bezogene T?tigkeit ausf?hren. steht nun in jedem deutschen Idiolektsystem S mit dem Substantiv _tisch_W zur Verf?gung. _auf_ _tischen_W ergibt sich aber nicht mehr kompositional aus _auf_W und _tischen_W. zu (2): Bei Analogie-Bildungen zu syntaktischen Bildungen kann es grunds?tzlich zu Wortformen kommen, zu denen nur ein 'sekund?res Lexem' existiert: ein Lexem, das aus der Wortform rekonstruierbar ist, ihr theoretisch bzgl. der Wort*formen*bildung auch zugrundeliegt, aber nicht bzgl. der Wortbildung. Zurecht fragt Herr Nolda: > ...Hier ist jedoch unklar, >was die begriffliche Bedeutung einer solchen Stammform sein k??nnte. >(Was ist 'auftischen' minus 'auf'?) M.E. sollte man f?r solche Lexeme in der Tat solche 'subtraktiven Begriffe' vorsehen, die mit den besonderen Eigenschaften (Kombinatorik, Ursprung) unmittelbar zusammenh?ngen. >Damit ist ebenfalls unklar, ob >man f??r diese Stammformen ein entsprechendes Lexem oder gar ein >entsprechendes lexikalisches Wort ansetzen kann. Beides ist m.E. unproblematisch: zum Lexem s.o., und 'gebundene lexikalische W?rter' sollten mit Blick auf Wendungen vom Typ _fix und foxi_ ebenfalls grunds?tzlich zugelassen werden. Ich hoffe, das tr?gt etwas zur Kl?rung bei. Viele Gr??e Monika Budde From andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE Sat May 3 21:01:30 2008 From: andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE (Andreas Nolda) Date: Sat, 3 May 2008 23:01:30 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen In-Reply-To: <4815E324.21794.BF2E81@lieb.zedat.fu-berlin.de> Message-ID: Hans-Heinrich Lieb schrieb: > Andererseits l??t die Theorie Stammformen zu, die keine > Flexionsformen sind, und verlangt auch nicht, da? es in jedem > Lexemparadigma Flexionsformen gibt oder da? es zu jedem > Stammformparadigman ein entsprechendes Wortparadigma geben mu?. > (Umgekehrt hat jedes nicht-idiomatische Wortparadigma genau ein > Stammformen-Paradigma.) > > Somit setze ich eine Stammform an1 lass2 an. > > Diese Stammform wird durch Abk?rzung (ein Stammform-Bildungsproze?, > in einer ihrer beiden Formen) aus der Verbform an1 lassen2 > gewonnen. Jeder Stammformbildungsproze? mu? (bei Wortbildung) > bedeutungsver?ndernd sein. Bei Abk?rzung ist diese Bedingung nur > scheinbar verletzt; die semantische Funktion ist > Extensionalisierung, d.h. der Inhalt des neuen Begriffs besteht aus > der Eigenschaft, zur Extension des alten Begriffs zu geh?ren; alter > und neuer Begriff sind damit logisch ?quivalent. Diesen Abk?rzungsprozess finde ich nicht ?berzeugend. Das sieht mir zu sehr nach einer ad hoc-L?sung aus. Ich w?rde die Beobachtung, dass morphologische Wortbildung auf der Basis von 'Partikelverb-St?mmen' im Deutschen v?llig regul?r ist und im Prinzip nicht anders funktioniert als auf der Basis von Pr?fixverb-St?mmen, vielmehr zum Anlass f?r eine theoretische Erg?nzung der bisherigen Theorie nehmen. Und zwar m?chte ich vorschlagen, auch f?r Partikelverben wie _einkaufen_W und _anlassen_W (und ggfs. andere syntaktisch mehrgliedrige lexikalische W?rter) systematisch synonyme Stamm-Lexeme wie _einkauf_L und _anlass_L anzusetzen. Diese enthalten lediglich Wortbildungs-Stammformen (hier: _ein_1 _kauf_2 und _ein_1 _k?uf_2 bzw. _an_1 _lass_2). Als Konsequenz davon g?be es auch zu einigen (oder allen) 'idiomatischen' Wortparadigmen genau ein Stamm-Paradigma. Andreas Nolda -- Dr. Andreas Nolda http://www.linguistik.hu-berlin.de/~nolda/ Humboldt-Universit?t zu Berlin Philosophische Fakult?t II Institut f?r deutsche Sprache und Linguistik From andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE Sat May 3 21:08:36 2008 From: andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE (Andreas Nolda) Date: Sat, 3 May 2008 23:08:36 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen In-Reply-To: <200805032301.30639.andreas.nolda@cms.hu-berlin.de> Message-ID: Andreas Nolda schrieb: > Und zwar m?chte ich > vorschlagen, auch f?r Partikelverben wie _einkaufen_W und > _anlassen_W (und ggfs. andere syntaktisch mehrgliedrige > lexikalische W?rter) systematisch synonyme Stamm-Lexeme wie > _einkauf_L und _anlass_L anzusetzen. Diese enthalten lediglich > Wortbildungs-Stammformen (hier: _ein_1 _kauf_2 und _ein_1 _k?uf_2 > bzw. _an_1 _lass_2). Noch eine Klarstellung: Diese Wortbildungs-Stammformen sind nicht durch Abk?rzung von _ein_1 _kaufen_2 bzw. _an_1 _lassen_2 gebildet, sondern durch Verkettung der Partikel mit der entsprechenden Stammform des zugrundeliegenden Basisverbs (_kauf_1/_k?uf_1 bzw. _lass_1). Andreas Nolda -- Dr. Andreas Nolda http://www.linguistik.hu-berlin.de/~nolda/ Humboldt-Universit?t zu Berlin Philosophische Fakult?t II Institut f?r deutsche Sprache und Linguistik From lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE Sun May 4 16:50:39 2008 From: lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE (Hans-Heinrich Lieb) Date: Sun, 4 May 2008 18:50:39 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen In-Reply-To: <200805032301.30639.andreas.nolda@cms.hu-berlin.de> Message-ID: Liebe Kollegen, den Vorschlag von Herrn Nolda finde ich meinerseits ad hoc, mit der Konsequenz einer ganz unn?tigen Verdoppelung. In meiner unver?ffentlichten Arbeit habe ich Abk?rzung als Wortbildungsproze? unabh?ngig von diesen Beispielen analysiert und hier auf einen anderen, von mir zun?chst gar nicht bedachten Fall angewandt - damit kann man von ad hoc nicht mehr sprechen. Die Theorie sollte im ?brigen Stammform-Bildung ausgehend von Wortformen oder anderen syntaktischen Einheiten genauso zulassen wie Stammform-Bildung auf rein morphologischer Basis. Die erste M?glichkeit einschr?nken zu wollen zugunsten der zweiten halte ich f?r ein verfehltes heuristisches Vorgehen. Im ?brigen l??t sich f?r diese Problematik viel lernen aus mehreren Jahrzehnten Diskussion im Lexikalismus in der Generativen Grammatik; zusammengefa?t: blo? keine Abschottung! Also: Dieser Vorschlag meines gesch?tzten Kollegen hat mich ausnahmsweise nicht ?berzeugt, und ich m?chte ihm meinerseits nicht zustimmen. Mit den besten Gr??en Hans-Heinrich Lieb ????????????????????????????????????????????????????? Prof. Dr. Hans-Heinrich Lieb FREIE UNIVERSIT?T BERLIN FB Philosophie und Geisteswissenschaften Institut f?r Deutsche und Niederl?ndische Philologie Habelschwerdter Allee 45 14195 BERLIN ????????????????????????????????????????????????????? lieb at zedat.fu-berlin.de Sekretariat (030) 838-54233 www.germanistik.fu-berlin.de/il/lieb.html ????????????????????????????????????????????????????? From monika.budde at TU-BERLIN.DE Wed May 7 13:42:05 2008 From: monika.budde at TU-BERLIN.DE (Monika Budde) Date: Wed, 7 May 2008 15:42:05 +0200 Subject: Stf-Bildung mit Bedeutungsaenderung ( was: Stf und StGr) Message-ID: Liebe Kollegen, am 28.04.2008 schrieb Hans-Heinrich Lieb: >... Jeder >Stammformbildungsproze? mu? (bei Wortbildung) bedeutungsver?ndernd sein. Bei >Abk?rzung ist diese Bedingung nur scheinbar verletzt; die semantische >Funktion ist Extensionalisierung, d.h. der Inhalt des neuen Begriffs besteht >aus der Eigenschaft, zur Extension des alten Begriffs zu geh?ren; alter und >neuer Begriff sind damit logisch ?quivalent. Was ist die Motivation f?r die Forderung von Bedeutungsver?nderung? Sie f?hrt dazu, dass auch bei der Kurzwortbildung zu einem Appellativum wie _Lastkraftwagen_W (-> _LKW_W) oder _Information_W (-> _Info_W) Extensionalisierung auf der Bedeutungsseite angesetzt werden mu?: Gebildet werden Wortst?mme, zu denen dann das Kurzwort gebildet wird (sonst w?re die Pluralbildung kaum zu verstehen), wobei sich die Bedeutung der Ausgangseinheit und des Kurzwortes 'nicht unterscheiden' (Sinn des Abk?rzens). Extensionalisierung sichert nun aber nur logische ?quivalenz, d.h. extensionale Gleichheit, nicht intensionale Gleichheit. Dies halte ich bei der Kurzwortbildung zu einem Appellativum f?r eine fragw?rdige Konsequenz - u.a. auch deshalb, weil Sprecher das Kurzwort und seine Bedeutung kennen k?nnen, ohne das Langwort zu kennen. (Anm.: Bei der Kurzwortbildung zu Eigennamen (mit Bedeutungen vom Typ 'hei?t ....') und bei der Kurzwortbildung zu echten syntaktischen F?gungen (mit syntaktischer Bedeutung) muss es zu semantischen Unterschieden kommen: Bei Eigennamen wird 'umgetauft', bei syntaktischen F?gungen muss aus der syntaktischen Bedeutung eine begriffliche Bedeutung gebildet werden.) Viele Gr??e Monika Budde From monika.budde at TU-BERLIN.DE Wed May 7 13:45:49 2008 From: monika.budde at TU-BERLIN.DE (Monika Budde) Date: Wed, 7 May 2008 15:45:49 +0200 Subject: Stammformen und Stammgruppen Message-ID: Liebe Kollegen, die letzte Diskussion -- ein Lexem _ein_ _kauf_-L als Abk?rzung zu dem Wort _ein_ _kaufen_W oder als Verkn?pfung von Partikel (oder Partikelstamm?) und Verbstamm, jeweils vermittelt ?ber die entsprechenden Beziehungen zwischen den Formen -- wirft eine grunds?tzliche Frage auf: die nach dem Status von (Wortbildungs-)Prozessen. Beschreibungstechnisch lassen Prozesse sich durch Relationen modellieren. Doch wenn diese Relationen mehr sein sollen als theoretische Konstrukte, muss man m.E. genauer werden: Wenn die Relationen einen (dynamischen) Prozess erfassen sollen, soll das Erfa?te (a) ein historischer oder (b) ein psychologischer Prozess sein? Im zweiten Fall: soll es sich um einen Prozess handeln, der (b1) in einem Erst-Erzeuger des WB-Produktes, (b2) in einem Erst-H?rer, (b3) in einem 'wiederholenden Erzeuger', (b4) in einem 'wiederholten H?rer' stattfindet? In der Literatur dienen Relationen au?erdem noch (teils implizit, teils explizit) zur Beschreibung von (c) (statischem) Wissen der Sprachbenutzer, das beim Hervorbringen und Verstehen von ?u?erungen eine Rolle spielt, wobei ich pers?nlich vorsichtig sein w?rde und das Wissen beim Hervorbringen nicht von vornherein mit dem Wissen beim Verstehen identifizieren w?rde. Wenn ich nichts ?bersehen habe, dann besteht innerhalb der IL inzwischen Einigkeit dar?ber, dass wir neben Konstituentenstrukturen der einen oder anderen Art WB-Relationen als mittelbare oder unmittelbare Idiolektsystem-Komponenten ben?tigen. Als solche sind WB-Relationen zun?chst einmal extramentale Objekte. Und ohne Zusatzforderungen nach (a) - (c) 'bestehen' im Lexikon sowohl die Abk?rzungsrelation nach Lieb wie die Verkn?pfungsrelation nach Nolda: zur Diskussion steht also, (1) ob man in diesem Fall eine der beiden Relationen als 'relevant' auszeichnen kann, (2) welches der zugrundeliegende Gesichtspunkt bei dieser Auszeichnung ist, wobei m?glicherweise nach verschiedenen Gesichtspunkten verschiedene Relationen auszeichnbar sind (die 'Existenz' der in Beziehung gesetzten W?rter und St?mme darf inzwischen als unabh?ngig gerechtfertigt gelten, so dass wir diese hier voraussetzen k?nnen: insofern gilt f?r beide zur Diskussion stehenden Auffassungen: "zu einigen (oder allen) 'idiomatischen' Wortparadigmen [gibt es] genau ein Stamm-Paradigma" (Nolda), denn *wenn* es zu einem 'idiomatischen' Wortparadigma ein Stammparadigma *der fraglichen Art* gibt, dann h?chstens eines). Meine Vermutung: sowohl historische als auch psycholinguistische ?berlegungen bzgl. (b1) und (b2) erlauben es in diesem Fall, die Abk?rzungsrelation auszuzeichnen, und bei Idiomatisierungen wie _ein_ _kaufen_W d?rfte sich dies auch durch psycholinguistische ?berlegungen bzgl. (b3), (b4) und (c) st?tzen lassen. Zugleich l??t sich das gleichartige 'Funktionieren' von Partikel- und Pr?fixverben als Beteiligung an ein und derselben Relation auffassen (bei den Lexemen sind immer die entsprechenden Verbst?mme gemeint): Es gibt ein R mit: <_ein_ _kaufen_W, _ein_ _kauf_L> el R, <_besuchen_W, _be_ _such_L> el R oder (in der Redeweise der 'Analogisten'): _ein_ _kaufen_W zu _ein_ _kauf_L wie _besuchen_W zu _be_ _such_L Der von R erfa?te Zusammenhang d?rfte zum Inhalt des Wissens eines Sprechers des Deutschen geh?ren, das dieser z.B. beim Verstehen neuer W?rter ausnutzen kann (Strategien: Suche nach Analogien, Dekomposition): neben den hier betrachteten Idiomatisierungen geh?ren zu R auch volltransparente Wort-Lexem-Paare beiderlei Art (!). Auf der anderen Seite k?nnen wir daneben eine Relation R' annehmen mit: <_be_ _such_L, _besuchen_W> el R', <_ein_ _kauf_L, _ein_ _kaufen_W> nicht-el R' R' k?nnte die Relation 'ist Wortstamm von / dient zur Bildung der Formen von' sein. Damit kann die "morphologische Wortbildung auf der Basis von 'Partikelverb-St?mmen'" in der Tat ganz analog zu der bei Pr?fix-Verbst?mmen beschrieben werden: Unterschiedlich ist nur die *Formenbildung* f?r das ?ber R (r?ckw?rts) verkn?pfte Wort: ein Sprecher kann ganz 'regul?r' (mit R) vom Vorkommen des Wortes auf ein Stammlexem schlie?en, das er dann als Ausgangspunkt f?r z.B. _er_-Derivationen verwenden kann. Dahingegen kann er nur im Falle der Pr?fixverben aus einem Stammlexem auch wieder auf das Wort zur?ckschlie?en (mit R'), nicht jedoch im Falle der Partikelverben. Im n?chsten Schritt m?chte ich nun daf?r pl?dieren, dass auch die von Nolda vorgeschlagene Verkn?pfungsrelation ihren Sinn hat: Sie erfasst ein Wissen ?ber Strukturen und strukturelle Zusammenh?nge, die sich mit einem Konstituentenstruktur-Modell (alter Art) gut beschreiben lassen: Das Lexem _ein_ _kauf_L enth?lt Stammformen _ein_ _kauf_ und _ein_ _k?uf_, denen eine Strukturbeschreibung zugeordnet werden kann. Wegen der offensichtlichen Idiomatisierung kann in diesem Fall die Gesamtbedeutung nicht auf die Bedeutungen der Teile zur?ckgef?hrt werden, d.h.: _ein_ _kauf_ usw. sind nicht zugleich StGr (wenn wir wie in der Syntax die XGr als diejenigen morphologischen Einheiten auffassen, deren Bedeutung sich nach dem Kompositionalit?tsprinzip ergibt). Auf der anderen Seite k?nnen wir in diesem Fall auf die morphologische Segmentierung wohl kaum verzichten, und zwar deshalb nicht, weil Sprecher _kauf_2 auch auf ein Lexem _kauf_L beziehen (k?nnen). D.h.: wir k?nnen _kauf_2 auch als Vorkommen einer _kauf_L-Form in _ein_ _kauf_ auffassen - und das hei?t: mit einer Markierung, die sich aus dem Paradigma von _kauf_L in der gewohnten Weise ergibt. Es bleibt also noch der erste Teil von _ein_ _kauf_ zu beschreiben: ein unikales Element vergleichbar _him_ in _himbeere_ (Unterschied: es gibt noch eine formal vergleichbare Partikel mit der Bedeutung "hinein", die z.B. in _ein_ _steigen_ vorkommt; auf diese Partikel scheint das _ein_ in _ein_ _kaufen_ aber synchron - von Sprechern des Deutschen - nicht mehr bezogen zu werden; die folgende ?berlegung w?rde aber auch mit dieser "hinein" bedeutenden Partikel funktionieren). Zur Beschreibung von _ein_ sehe ich grunds?tzlich zwei M?glichkeiten: (i) Da wir syntaktische Teile von morphologischen Strukturen seinerzeit zugelassen haben, k?nnte es sich um das Vorkommen der 'unikalen Partikel' _ein_W handeln; oder (ii) wir gehen zur?ck auf den Stamm dieser Partikel, _ein_L, und h?tten dann eine rein-morphologische Struktur. Nolda scheint (i) im Blick zu haben - und ich selbst neige ebenfalls dazu, ohne bisher einen wirklich durchschlagenden Grund zu sehen. (i) entspricht der 'Geschichte' des Lexems. Zusammenfassend ergibt sich dann die folgende Struktur (Markierungsstruktur nur angedeutet): __Stf__ | | Pf Stf ein kauf ... ... Mit Bezug auf Strukturen dieser Art besteht dann eine (3-stellige) Beziehung zwischen _ein_W, _kauf_-L, und _ein_ _kauf_-L. Sofern Strukturwissen 'psychologisch real' ist, l?sst sich also auch diese Beziehung nach einem (c)-Gesichtspunkt als relevant ausweisen. Es bleibt noch die Frage der f?r _ein_ _kauf_-L anzusetzenden lexikalischen Bedeutung, die jedoch unabh?ngig von der Frage ist, welche Beziehungen zwischen den involvierten W?rtern und Lexemen bestehen. Falls die Annahme, dass Stammformenbildung bei Wortbildung immer bedeutungsver?ndernd ist, sich als gut motiviert erweist (s. meinen gesonderten Beitrag), kann man mit Lieb die Extensionalisierung der Bedeutung von _ein_ _kaufen_W annehmen (nur extensionale Synonymie): dies ist einfach die Bedeutung, die den Stammformen in der entsprechenden morpholog. Paradigmenbasis unmittelbar zugeordnet ist. (Durch die komplexen Zusammenh?nge zwischen syntaktischem und morphologischem Teil des Lexikons ist die *systematische* Identifizierung der Paradigmenbasen alles andere als trivial, aber nicht grunds?tzlich problematisch.) Nebenbei zeigen diese Beispiele und die Diskussion, dass mit der neuen prozessorientierten Sicht die alte strukturorientierte Sicht nicht einfach obsolet geworden ist: beide haben ihre Berechtigung, da sie jeweils unterschiedliche Aspekte der Bildung und Gebildetheit von W?rtern zu erfassen erlauben. Oder anders ausgedr?ckt: Ich m?chte vermeiden, bei der neuen Sicht das Kind mit dem Bade auszusch?tten. Ich hoffe, dass diese Differenzierungen etwas dazu beitragen konnten, die Diskussion wegzuf?hren von pauschalen Einw?nden wie "ad hoc" und "unn?tige Verdoppelung" und ungenauen Verweisen ("funktioniert nicht anders als") - auch wenn mein Beitrag dadurch schon wieder viel l?nger als geplant geworden ist. Viele Gr??e Monika Budde From holfert at UNI-OSNABRUECK.DE Thu May 8 20:48:09 2008 From: holfert at UNI-OSNABRUECK.DE (Helena Olfert) Date: Thu, 8 May 2008 22:48:09 +0200 Subject: No subject Message-ID: could you please remove me from the list! thank you!