32.2846, Review: German; Syntax: Pittner, Berman (2021)

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LINGUIST List: Vol-32-2846. Tue Sep 07 2021. ISSN: 1069 - 4875.

Subject: 32.2846, Review: German; Syntax: Pittner, Berman (2021)

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Date: Tue, 07 Sep 2021 23:23:29
From: Daniel Pust [daniel.pust at ovgu.de]
Subject: Deutsche Syntax

 
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Book announced at http://linguistlist.org/issues/32/32-360.html

AUTHOR: Karin  Pittner
AUTHOR: Judith  Berman
TITLE: Deutsche Syntax
SUBTITLE: Ein Arbeitsbuch
SERIES TITLE: narr Studienbücher
PUBLISHER: Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
YEAR: 2021

REVIEWER: Daniel Pust, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

SUMMARY

“Deutsche Syntax. Ein Arbeitsbuch”, authored by Karin Pittner and  Judith
Berman and published in 2021 in the series “Narr Studienbücher” by Narr
Francke Attempto, is meant to accompany an introductory lecture on German
syntax. Ranging from the classification of parts of speech to the relation
between information and sentence structure, the depiction of syntactic
phenomena in this book is kept theory neutral; i.e., it does not adhere to any
specific grammatical theory, but rather explains concepts that are widely
regarded as standard with references to matters of ongoing debate. Both
authors teach at the Germanic Institute at the Ruhr-University Bochum, where
they focus on the areas of syntax and morphology as well as on contemporary
German language development.

The mere fact that this is the 7th edition of this “workbook” is a sign of its
quality. Due to its readily understandable way of explaining complicated
concepts, “Deutsche Syntax” is not only suitable as a reader for German syntax
101, but is also appropriate for independent study. That it tries to do so in
200 odd pages inevitably leads to limitations in breadth and depth with
regards to such a complex topic. A big plus, on the other hand, is the
authors‘ pragmatic view on language, as the grammatical explanations are
enriched with references to language change, variety, register, and
contrastive differences, on top of diverse examples of language use.

ZUSAMMENFASSUNG

„Deutsche Syntax. Ein Arbeitsbuch“, erschienen 2021 in der Reihe „Narr
Studienbücher“ bei Narr Francke Attempto, versteht sich als Begleitlektüre zu
Einführungsveranstaltungen in die deutsche Syntax. Die Darstellung
syntaktischer Phänomene, angefangen bei der Bestimmung der Wortarten bis hin
zum Verhältnis von Informations- und Satzstruktur, ist dabei theorieneutral
gehalten; d.h. die Einführung folgt keiner spezifischen grammatischen Theorie,
sondern vermittelt weithin als Standard angesehene Auffassungen mit Hinweisen
zu Punkten, an denen noch Dissens existiert. Die Autorinnen Prof. Dr. Karin
Pittner und Dr. Judith Berman lehren beide am Germanistischen Institut der
Ruhr-Universität Bochum mit Schwerpunkten in den Bereichen Syntax und
Morphologie sowie kontemporäre Sprachentwicklungen des Deutschen.

Das Buch ist in zehn Kapitel gegliedert und folgt einer logischen Struktur,
indem vom Kleinen zum Großen bzw. vom Einzelnen zum Ganzen vorgegangen wird.
Der Aufbau eines jeden Kapitel ist in einem einheitlichen Muster gehalten: Zu
Beginn informiert ein Advance Organizer Leser*innen stichpunktartig über die
Inhalte des Kapitels, nach größeren Inhaltsblöcken werden zentrale
Informationen in Zusammenfassungen festgehalten, und am Kapitelende gibt es
Übungsaufgaben, deren Lösungen sich im Serviceteil am Ende des Buches
befinden. Im Anschluss an jedes Kapitel weisen Literaturtipps mit Erklärungen
zu den Inhalten der Werke auf Lektüremöglichkeiten zur thematischen Vertiefung
hin.

Im ersten Kapitel, der Einführung, wird der Begriff Syntax konzise erklärt.
Dazu verweisen die Verfasserinnen (Vf.innen) zunächst auf dessen Etymologie
und allgemeine Bedeutung als Regelsystem für die Kombination von Zeichen,
bevor Syntax als Teil der Grammatik einer Sprache definiert wird, wobei deren
vielfältige Beziehungen zu den anderen linguistischen Teildisziplinen
Phonologie, Morphologie und Semantik herausgestellt werden.

Das zweite Kapitel behandelt syntaktische Kategorien, erst für einzelne
Wörter, dann für Wortgruppen. Auf lexikalischer Ebene wird zunächst grob
zwischen deklinierbaren, konjugierbaren und unflektierbaren Wortarten
unterschieden. Weitestgehend kanonisch ist die Einteilung der flektierbaren
Wortarten in Substantive, Adjektive, Artikel und Pronomen. Im Bereich der
Konjugation unterscheiden die Vf.innen Voll-, Hilfs-, Modal- und Kopulaverben.
Zu den unflektierbaren lexikalischen Kategorien zählen Adverbien,
Präpositionen, Konjunktionen und Partikeln. Für die Bestimmung der Kategorien
werden im Wesentlichen morphologische und distributionelle Kriterien
herangezogen; lediglich bei der Unterteilung der Partikeln kommen auch
semantische Aspekte hinzu. Zusammengehörige Wortgruppen unterteilen die
Vf.innen anhand des Kerns in fünf Phrasenkategorien: Nominal-, Präpositional-,
Verbal-, Adjektiv- und Adverbphrasen. Das Kapitel endet mit der Vorstellung
verschiedener Tests, mithilfe derer sich die phrasale Zugehörigkeit einzelner
Konstituenten bestätigen oder ausschließen lässt.

An die Etablierung der Phrasenkategorien schließt das dritte Kapitel mit den
Funktionen der Satzglieder im Satz an. Besprochen werden die
Satzgliedfunktionen von Subjekt, Objekten (Akkusativ-, Dativ-, Genetiv- und
Präpositionalobjekt), Adverbial (semantische Subklassen) und Prädikativ. In
einem eigenen Subkapitel wird in aller Kürze auf die strittige Frage
eingegangen, ob es sich beim Prädikat auch um ein Satzglied handelt. Ihre
Entscheidung dagegen begründen die Vf.innen mit der zentralen Stellung des
Verbs im Satz sowie dem Fehlen bestimmter Charakteristika, die ‘echte’
Satzglieder kennzeichnen. Schließlich behandelt das Kapitel auch noch das
Attribut als Gliedteil – vermutlich auch um Verwechselungen mit Satzgliedern
vorzubeugen.

Die besondere Rolle des Verbs im Satz ist auch der Grund dafür, dass die
Vf.innen den Verben ein eigenes Kapitel widmen, als einziger Wortart
wohlgemerkt. Zur Erklärung der Verbvalenz wird die von Tesnière (1959)
geprägte Metapher der Theaterbühne herangezogen, gemäß derer die
Verbergänzungen wie Schauspieler in einer Szene bestimmte Rollen übernehmen.
Angaben sind dagegen Teil der Kulisse. Zur schematischen Differenzierung von
Ergänzungen und Angaben werden im Folgenden dreierlei Tests besprochen, bevor
die Relationalität der Valenz auf logischer, semantischer und
morphosyntaktischer Ebene behandelt wird. Dadurch gelingt es, zu einer
umfassenden Beschreibung von Verbvalenz zu gelangen. Besondere Aufmerksamkeit
erhält der freie Dativ, also dativisch markierte Nominalphrasen (NP) ohne
Valenzbindung, dessen Verhalten nach Typen differenziert mittels verschiedener
Testverfahren eingehend untersucht wird. Das vierte Kapitel endet mit einer
Auseinandersetzung bzgl. der Fragestellung, nach welchen Prinzipien die
thematischen Rollen den syntaktischen Funktionen zugeordnet werden.

Das fünfte Kapitel vertieft die Thematik zum Verb noch einmal, indem auf das
Passiv eingegangen wird mit je einem Unterkapitel für die drei Passivformen
Vorgangs-, Zustands- und Rezipientenpassiv. Es folgt eine Fortsetzung des
Verhältnisses von thematischen Rollen und syntaktischen Funktionen von Kapitel
vier, diesmal in Gegenüberstellung von Aktiv und Passiv.

Im sechsten Kapitel wird das für die Beschreibung des deutschen Satzes
zentrale topologische Satzmodell nach Drach (1937) vorgestellt. Nach einer
knappen Beschreibung der fünf topologischen Felder, werden als Erstes die drei
Verbstellungstypen (V2, V1, VE) und die entsprechenden Satztypen behandelt.
Danach erfolgt die topologische Analyse komplexer Sätze sowie Ausnahmen zur
Regel bei der Vorfeldbesetzung und diverser anderer Probleme in Bezug auf die
Identifizierung der Verbposition im Hauptsatz, die sich dann aber mitunter
durch Erweiterungen vor dem Vorfeld lösen lassen. Im Weiteren geht es darum,
wie sich Mittelfeld von Nachfeld abgrenzen lässt und mit welchen Elementen das
Nachfeld besetzt werden kann. Schließlich thematisieren die Vf.innen die
rechte Satzklammer und deren Unterteilung in Ober- und Unterfeld.

Ähnlich große Beachtung wie den Verben schenken die Vf.innen des Arbeitsbuches
zur deutschen Syntax den komplexen Sätzen. Das siebte Kapitel beginnt mit der
Unterteilung komplexer Satzstrukturen in Parataxe und Hypotaxe, bevor die
Hypotaxe nach formalen und funktionalen Kriterien weiter unterteilt wird.
Diese knapp gehaltene Einteilung leistet wesentliche Vorarbeit für die daran
anschließende Darstellung der Formen und syntaktischen Funktionen von
Nebensätzen. In einzelnen Unterkapiteln wird zuerst zwischen Relativ-,
eingebetteten Interrogativ-, Konjunktional- und Infinitivsätzen unterschieden.
Im Anschluss daran werden Subjekt-, Akkusativobjekt-, Präpositionalobjekt-,
Adverbial-, Attributsatz sowie weiterführende Nebensätze behandelt. Die
Beschreibung der syntaktischen Funktionen folgt dabei durchgehend einem
dreiteiligen Schema: Zuerst wird auf die verschiedenen Formen, zweitens auf
die topologische Distribution und drittens auf das Auftreten eines Korrelats
eingegangen. Zum Beispiel wäre der Nebensatz in „Dass sie gut vorlesen kann,
beeindruckt ihn.“ eine mögliche Form eines Subjektsatzes; hinsichtlich der
Distribution kann der Subjektsatz im Vorfeld oder im Nachfeld auftreten, aber
nicht im Mittelfeld; und als extraponierter Subjektsatz geht ihm das Korrelat
‚es‘ im Matrixsatz voran. Am Ende des Kapitels fasst ein Strukturbaumdiagramm
Formen und Funktionen von Nebensätzen zusammen.

In Kapitel acht werden dann infinite Strukturen differenziert behandelt, indem
die Vf.innen  der Frage nachgehen, ob auch Vollverben, ähnlich wie Modal-,
Halbmodal- oder Hilfsverben, mit dem infiniten Verb zusammen ein Prädikat
bilden oder ob ein Satzgefüge vorliegt, das aus zwei Teilsätzen besteht. Nach
der Untersuchung der infiniten Strukturen in diversen Kontexten fällt das
Ergebnis so aus, dass zwischen fakultativ kohärent und inkohärent
konstruierenden Verben zu unterscheiden ist. Davon gesondert betrachtet werden
AcI-Konstruktionen und ebenfalls auf Satzwertigkeit hin überprüft.

In zwei voneinander getrennten Sektionen widmet sich das vorletzte Kapitel den
Pronomen ‚es‘ und ‚sich‘. Zuerst wird ‚es‘ behandelt, als Personalpronomen,
als formales Argument, als Vorfeld-‚es‘ und als Korrelat zu einem
extraponierten Komplementsatz; es folgt eine Untersuchung des
Reflexivpronomens als lexikalisches ‚sich‘ als Teil von inhärent reflexiven
Verben im Gegensatz zum anaphorischen ‚sich‘, das von Verben optional reflexiv
gebraucht wird.

Das zehnte und letzte Kapitel behandelt das Verhältnis von Informations- und
Satzstruktur. Während in Kapitel sechs auf grundlegende Regularitäten im
topologischen Satzmodell eingegangen wurde, besprechen die Vf.innen an dieser
Stelle, welche Faktoren eine markierte (nicht-normale) Abfolge der Satzglieder
motivieren. Als Erklärung dienen die drei informationsstrukturellen
Gliederungsverfahren von Topik und Kommentar, Thema und Rhema, sowie Fokus und
Hintergrund.

Am Ende des Inhaltsteils erwartet den Leser eine finale Übung, die die
behandelten Aspekte subsumiert. Das Arbeitsbuch schließt mit Lösungshinweisen
zu allen Übungen jeden Kapitels, einem Glossar zu Fachbegriffen, der
Bibliographie und einem Sachwortregister.

EVALUATION

Die Tatsache, dass das Arbeitsbuch zur deutschen Syntax bereits in seiner 7.
Auflage erscheint, ist schon allein ein Prädikat seiner Qualität. Zur
angepriesenen Überarbeitung und Erweiterung ist festzuhalten, dass die
Änderungen sich im Wesentlichen auf eine sanfte Überholung des Layouts und der
Aktualisierung der Literatur zu beschränken scheinen. Insofern lohnt sich eine
Neuanschaffung für diejenigen nicht, die die vorherige Auflage besitzen. Für
alle anderen, insbesondere Grammatikneulinge, stellt der Kauf eine sinnvolle
Investition von 22,99€ dar.

„Deutsche Syntax“ eignet sich dabei nicht nur als Begleitlektüre zu einer
Einführung, sondern aufgrund der leicht verständlichen Erklärungsweise auch
durchaus zum Selbststudium. Veranschaulicht werden die Bestimmungsprozesse
durch die transparente Anwendung von Testverfahren sowie durch die
übersichtliche Darstellung der Ergebnisse in Diagrammen und Tabellen.
Grundlegende Begriffe werden knapp und klar definiert. Als äußerst hilfreich
erscheint in diesem Kontext die Erwähnung von synonymen Bezeichnungen, was
Einsteigern bei der Weiterarbeit mit alternativen Grammatiken ebenso zum
Vorteil gereichen wird wie die vielen abwechslungsreichen Übungen zu den
einzelnen Themen eines jeden Kapitels mit den entsprechenden Lösungen im
Schlussteil.

Der Umstand, dass sich das Arbeitsbuch auf etwas mehr als 200 Seiten einem so
komplexen Thema wie der deutschen Syntax annimmt, führt unweigerlich zu
Abstrichen bei Themenumfang und -tiefgang. So wird bspw. bei der Auflistung
der syntaktischen Kategorien nicht auf Probleme bei der Bestimmung
eingegangen, z.B. bei Adjektiven, die nicht komparierbar sind; oder dass den
anderen Eigenschaften des Verbs wie Tempus und Modus nicht ebenso viel
Aufmerksamkeit geschenkt wird wie dem Genus Verbi – ein Manko, das schon
Helbig (2007) bei der Rezension der Erstauflage beklagte.

Demgegenüber stellt die pragmatische Sprachauffassung der Vf.innen eine
immense Bereicherung dar, da in den grammatischen Ausführungen auch auf
Sprachwandel, Sprachvarietäten und Stilebenen sowie sprachkontrastive
Unterschiede hingewiesen wird. Auch die angewandten Sprachexemplare zeichnen
sich durch ihre Vielfalt aus, indem eben nicht nur auf Standardsprache
zurückgegriffen wird, sondern umgangssprachliche, literarische und
popkulturelle Beispiele herangezogen werden – wobei letztere für die 8.
Auflage eine Aktualisierung bedürften, um für eine junge Leserschaft relevant
zu bleiben. So ist Studierenden von heute z.B. die Italowestern-Persiflage
„Gott vergibt, Django nie“ vermutlich kein Begriff mehr.

BIBLIOGRAPHIE

Drach, Erich. 1937. “Grundgedanken der deutschen Satzlehre“. Frankfurt a.M.:
Diesterweg.

Helbig, Gerhard. 2007. Rezension – Karin Pittner & Judith Berman: Deutsche
Syntax. Ein Arbeitsbuch. Deutsch als Fremdsprache: Zeitschrift zur Theorie und
Praxis des Faches Deutsch als Fremdsprache 44(1). 53-55.

Tesnière, Lucien. 1959. “Éleménts de syntaxe structurale”. Paris: Klincksieck.


ABOUT THE REVIEWER

Daniel Pust currently works as a lecturer at the Department of German Studies
at Otto-von-Guericke-University Magdeburg (Germany) and teaches various
courses on the didactics of German as a first, second and foreign language.
His research focuses on applied linguistics in the area of language
acquisition, more specifically on second language acquisition, as well as on
didactics of German as a foreign language with a special interest as to how
media can be harnessed for language learning/teaching.





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