LL-L "Language varieties" 2006.02.13 (07) [E/German]

Lowlands-L lowlands-l at lowlands-l.net
Tue Feb 14 01:03:46 UTC 2006


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L O W L A N D S - L * ISSN 189-5582 * LCSN 96-4226
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   L O W L A N D S - L * 13 February 2006 * Volume 07
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From: Heiko Evermann <heiko.evermann at gmx.de>
Subject: LL-L "Language varieties" 2006.02.10 (05) [German]

Moin Jonny,
> Und- mich nervt noch viel mehr!!!
>
> Da geht großer Mist um und in uns herum, und mir scheint, hier ist (dank
> Reinhard) das einzige Forum für offene Worte und Liberalität...
Ohauaha...

> Stell' Dir vor, jemand schreibt- mit den allerbesten Absichten- ein
> Wörterbuch für Europäisch. Die Sprache gibt's nicht?? Recht hast Du. Und
> trotzdem- Herr Sass hat etwas Vergleichbares versucht!!
Ach was.

> Er schreibt mutig ein Lexikon. Macht Fehler. Sucht nach der evtl.
> vorhandenen Einheitlichkeit. Sein Werk wird bekannt. Generationen nach ihm
> wird's neu aufgelegt als sogenanntes *Plattdeutsches Wörterbuch*. Alle
> Druckfehler inclusive, alle Sass'schen Fehler natürlich auch.
>
> Verdammte Scheiße- oder: jetzt haben wir den Salat.
Ohauaha.

> Die Sprache wird
> inzwischen noch von weitaus weniger Menschen gesprochen als zu seiner 
> Zeit.
> Aber- es entsteht und wächst jetzt eine Ära der Schreiber. Und die 
> brauchen
> offenbar Regeln. Und finden sie bei ihm. Und vervielfältigen alle seine 
> und
> seiner Nachfolger Fehler.
Meine Beobachtung aus der Open-Source-Softwareszene ist eine andere: je mehr
Leute draufschauen, desto mehr Fehler werden entdeckt und beseitigt. Ich bin
mir sicher, daß im Laufe der Auflagen des Sass-schen Lexikons schon viele,
viele Fehler beseitigt wurden. Heinrich Thies (der das Sass'sche Lexikon
betreut) ist dankbar über jeden Hinweis. Ich habe mit ihm schon länger
telefoniert, diverse Problemfälle durchdiskutiert und mit ihm eine Liste der
plattdeutschen Ländernamen durchgearbeitet. Das war ein sehr produktives
Treffen. Und Hinweise zu Fehlern und Inkonstenzen im Sass hat er sich gleich
notiert, um sie in der nächsten Auflage zu korrigieren.

> Es kotzt mich an, "Bott" als "Drachenschnur" oder "Pull" als "Baumkrone" 
> zu
> lesen.
Ohauaha.

Den Bott kenne ich nicht. Aber dem Pull bin ich nachgegangen.
Es kommt in
http://www.radiobremen.de/online/platt/gartenzaun/januar_1999_obstbaeume_schneiden.pdf
vor:
"De ganze Pull is veel to dicht worden, dor mut örrnlich utlicht warden. Un
dat mut so passeern, dats de Boom naher an tweejohrig Twiegen wedder good
blöhn deit. "
Da könnte man ja noch auf die Idee kommen, da hätte ein Autor von Radio 
Bremen
auch zu tief ins Sass-sche Glas geschaut und ist von seinem Pull beduselt
worden. Aber das Wort hat sich ja fleißig weiter vermehrt:

Lindow (Plattdeutsch-Hochdeutsches Wörterbuch) kennt das Wort in den Formen
"Pull, Püll, Poll" und schreibt dazu: "Baumkrone, Wipfel, Spitze; 
übertragen:
Kopf, Haarschopf; Grasbüschel, Gruppe eng zusammenstehender Pflanzen"

Wenn man nach "Boom Poll dat för" googelt, findet sich auch noch
http://www.buecherquelle.com/fehrs/maren/maren04.htm (ein Text von Johann
Hinrich Fehrs, gestorben 1916, also zu einer Zeit, wo man noch besser Platt
konnte als heute. Ich weiß ja nicht, ob Sass selbst Geschichten auf Platt
geschrieben hat, aber Fehrs' Text liest sich richtig nett. Ich habe schon 
den
Eindruck, dass der was von der Sprache verstand):
"kann de Boom wat darför, wenn de Drossel en Nest in sinen Poll buut?"

Lindow listet außerdem das Wort Pull-/Pollwichel: Kopfweide, Weide mit
verdicktem Kronenansatz

Aber, ojweh, die Pull-Verschwörung hat noch weiter um sich gegriffen: Neuber
(Dithmarschen) listet in "Wöhrner Wöör" unter "Baumkrone"
*Boompull, Pull (Dithmarschen) Mehrzahl: Püll,
*Op de hööchste Boompull sung de Drossel (Fehrs, Quellenangabe)
* "Kroon"
* die Baumkrone absägen / stutzen: "pullen: Bald worr se wat to seggen 
hebben
un denn schullen de Linnen pullt warrn", ein wichtiges Wort zur "Baumfrisur"
in der Marsch, heute zumeist schlicht "köppen" oder "kappen"
* ausästen der Baumkrone: utpullen
* Querverweis auf Büschel, dort ist "Pull" als eine Möglichkeit aufgeführt.

Neuber basiert übrigens nicht direkt auf dem Sass-schen Lexikon. Die beiden
stimmen in vielen Fällen nicht direkt überein. Neuber hat schon selbst
gesammelt und hebt in vielen Fällen speziell dithmarscher Begriffe hervor.

Da gibt es jetzt ja zwei Möglichkeiten
1) Sass hat ein Wort aufgeschnappt. Vielleicht hat ihn jemand veräppelt.
Andere haben das Wort aus seinem Machwerk abgeschrieben und vervielfältigt
und mittlerweile wird ihm dieses Wort leider geglaubt

oder

2) Sass hat ein genuin plattdeutsches Wort notiert, das zumindest in
Dithmarschen absolut "begäng" war. Allerdings kennt Jonny das Wort nicht in
dieser Bedeutung. Aber Jonny kommt ja auch nicht aus Dithmarschen sondern 
aus
Niedersachsen und finden Pull nun absolut daneben.

Ich tendiere nach Neubers umfassenden Ausführungen dazu, Möglichkeit 2 als
deutlich wahrscheinlicher anzunehmen. Aber in diesem Fall stünde das Wort
doch zu Recht im Sass. Vielleicht sollte man es noch um andere Wörter für
Baumkrone aus anderen Gegenden erweitern. Und was wäre denn nun so schlimm
daran, wenn Leute aus anderen plattdeutschen Gegenden dieses Wort nun auch
noch lernen und es in ihren Wortschatz aufnehmen?

Ich habe mal den Anhang zur Lutherbibel gelesen, wie sie in Süddeutschland
veröffentlicht wurde. Dort gab es als Anhang ein Wörterverzeichnis. Ein
Eintrag ist mir hängengeblieben: sprechen = reden. In Schwaben kannte man
"sprechen" damals nicht. Heute sind sprechen und reden weitgehend synonym.
Die Präferenz in Schwaben ist aber immer noch "reden". Mit snacken, praten
und küren sind wir in Plattdeutschland doch nun auch so weit, dass diese 3
Wörter allgemein verstanden werden.

Summa summarum: ich verstehe nicht, warum Du Dich über Pull so aufplusterst.

> Ich habe zuweilen auch die Faxen dicke von meiner eigenen Leidenschaft,
> hinter die Dinge zu schauen, Wortverwandtschaften herauszufinden,
> Beziehungen zu anderen germanischen Sprachen herzustellen.
Es ist immer besser, etwas mehr als etwas weniger zu wissen.

> Weil es mir nämlich genauso
> geht wie vielen anderen LS-natives, dass ich viel zu viel von dem glaube,
> was irgendwo geschrieben steht.
Dagegen hilft nachforschen, nachforschen, nachforschen. (Alter
protestantischer Grundsatz, der mir in Fleisch und Blut übergegangen ist:
Denken nie outsourcen, immer selber lesen.)

> Kannst Du Dir vorstellen, dass es heute noch in den Köpfen der
> niedersächsischen Muttersprachler herumspukt, Konsonanten-Verdoppelung (s.
> Sass: 'harren" statt 'haarn', 'all' statt 'aal', 'tall' statt'taal' u.v.m)
> *verlängere* den Vokal??? Nur, weil es auf der Grundlage eines anderen
> Regiolektes (den ich allerdings bisher nirgendwo finden konnte) wohl so
> geschrieben werden *könnte*!? Stell' Dir vor, wie diese Menschen drauf
> reagieren, wenn ich mit ihnen darüber diskutiere...
Ach, mit mir kann man darüber ganz gut diskutieren. Wenn man "Taal" 
schreibt,
würde sich ja die Klangfarbe Richtung "o" wandeln, was sie bei "Tall" aber
eben nicht tut. Gut, man könnte das als Taal schreiben, aber dann müßte man
wohl den Laut zwischen a und o anders abbilden, aber bitte nicht mit dem
gekringelten A, das schreibt sich auch im Computerzeitalter mit einer
deutschen Tastatur nicht gut, usw. Das basiert nicht auf einem spezifischen
Regiolekt. Das zugrunde liegende Phänomen ist weit verbreitet. Möchtest Du
das ggf. näher diskutieren?

Aber ein Punkt ist noch interessant: Plädierst Du etwa auch für
"Baal, Faal, Haal, maal, Staal, Waal, knalen, lalen" statt
"Ball, Fall, Hall, mall, Stall, Wall, knallen, lallen"?

Die Schreibweise von Tall ist analog zu Ball, Fall, Hall, Stall gebildet und
wurde eben auf Wörter wie Tall und "warrt" ausgedehnt. Man mag das ja nicht
mögen, aber das ist ungefähr so intelligent wie die hochdeutschen Regeln,
dass
* ein e einen Vokal verlängert wie in "nie"
* ein h einen Vokal verlängert, wenn es nach dem Vokal steht wie in "Zahl",
"Sohn" aber ausgesprochen wird, wenn es vor dem Vokal steht, wie in "Hahn".
Ups, da haben wir zwei Hs im selben Wort und die werden ganz verschieden
ausgesprochen. Bei manchen Wörtern ist das dehnende h etymologisch richtig,
aber verstummt und in anderen Fällen ist es etymologisch hahnebüchener 
Unsinn
(tschuldigung: hanebüchen, doch nicht von Huhn abgeleitet...)
* Interessant ist auch, dass ein "h" aus einem "c" (tse) einen Reibelaut
basteln kann, wobei der Unterschied zwischen dem ch in "ich" und in "ach" 
gar
nicht am Schriftbild zu sehen ist.
* Man bedenke auch Itzehoe, wo sich ein e sogar erdreistet, ein o zu
verlängern oder Lübeck, wo ein c die Aufgabe hat, ein e zu verlängern.
* Und wenn sich dann ein s ein c und ein h zusammentun, wird auch noch ein 
sch
daraus.
Oha, wie logisch.

> Lasst uns und unsere Sprache zufrieden.
> Lasst uns daran erfreuen, dass wir wenigen überlebenden Sprecher völlig
> offen und tolerant sind- von Rügen (Mecklenburg) bis Groningen, von
> Flensburg bis Göttingen. Wir haben unter uns kein Problem!!! Wir verstehen
> uns, notfalls müssen wir uns eben auf "Verständigen" reduzieren.
Ach! offen und tolerant? (Tschuldigung, es ist schon spät.) Ich muß gerade 
an
"Life of Brian" denken, mit dem (etwas abgewandelten) "Er hat Pull gesagt, 
er
hat Pull gesagt". Darf ich Dich ganz herzlich einladen, Pull zu tolerieren
oder zumindest zu verstehen? Auch wenn es von jenseits der Elbe kommt?

Hartlich Gröten,

Heiko Evermann

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From: R. F. Hahn <sassisch at yahoo.com>
Subject: Language varieties

Das Wort _Pull_ oder _Poll_ für 'Wipfel', 'Büschel', 'Schopf' u.s.w. ist mir 
stets bekannt gewesen, besonders aber das Wort _Pullwichel_ 'Kopfweide'. 
Ich glaube _polle_ wurde bereits im Mittelsächsischen benutzt, aber im 
Altsächsischen ist es mir nicht bekannt.  In heutigen Mundarten gibt es auch 
das word _pullen_ im Sinne von 'kappen' (z. B. eine Baumkrone).

Das Mittelniederländische hat auch _polle_ und _pol_ für 'Kopf', 'Schopf' 
u.s.w.

Auch das Englische hat das nun altbackene _poll_ in diesem Sinn, und zudem 
gibt es das jetzt noch gebräuchliche Word _pollard_ 'gestutzter Baum', 
'Tier, dessen Hörner beseitigt wurden'.  (Es ist im Mittelenglischen bekannt 
und ist vielleicht auch ein niederländisches Lehnwort.)  Ursprünglich 
handelte es sich wohl um so etwas wie "Büschel", dann "Haarschopf", dann 
"Kopf" und "(Baum-)Krone".  Auch gibt es im Englischen das wort _to poll_ 
mit der Bedeutung 'kurzschneiden', 'stutzen' (unter anderem).

Ich bin dem Wort _Bott_ in diesem Sinn wenige Male begegnet: 'Leine', 
'Seil', 'Schnur' oder 'Tau'.  (Eine andere Bedeutung ist 'Raum', 'Platz'.) 
Mein Eindruck war stets, dass es sich hierbei um einen Fachausdruck in der 
Seefahrt und/oder Fischerei handelt.  Bei Wolfgang Lindow erscheint es auch.

Ich habe den Eindruck, es geht hier nicht darum, ob ein gegebenes Wort 
wirklich existiert oder erfunden wurde, sondern dass es im Grunde genommen 
um das "Mischen" geht und somit um das überdialektale Schreiben.  Beide von 
ihnen werden von denjenigen abgelehnt, die dem überregionalen Schreiben 
entgegenstehen und meiner Ansicht nach villeicht  "Vereinigungsbestreben" 
mit "Vereinheitlichungsbestreben" verwechseln oder den 
Vereinheitlichungsanteil des Vorhabens überbewerten.

Man bloots myn bydrag voer so wat as sösstayn pen.

Kumpelmenten,
Reinhard/Ron

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From: Wesley Parish <wes.parish at paradise.net.nz>
Subject: LL-L "Language varieties" 2006.02.13 (06) [E]

Quoting Lowlands-L <lowlands-l at LOWLANDS-L.NET>:

Just a question - how long did it take before the land was repopulated?  I
remember, rather dimly because i wasn't paying any attention at the time,
reading a reference in a book - which I've forgotten the name of - quoting 
one
of the writers at around about 600 AD or so, I think, saying that the land 
was
still uninhabitated two centuries after the migration.

Unfortunately, as I said, I can't remember the name of the book in which I 
read
the reference, let alone the name of the writer referred to. ;)  My bad. ;)

Wesley Parish 

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