LL-L "Phonology" 2011.05.23 (07) [DE-NDS]

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Mon May 23 22:46:50 UTC 2011


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L O W L A N D S - L - 23 May 2011 - Volume 07
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From: Joachim <Osnabryg+Lowlands at googlemail.com>
Subject: LL-L "Phonology" 2011.05.23 (05) [DE]

 Am 22.05.11 01:26, schrieb Hannelore Hinz:

ick will man leiwer nahkamen Wüür verkloren (hemm' de Lütten so
*reigenweg *allein
laten):

rei(g)enweg: ok (auch), so as de Jungen de Reig' nah ut't Ei krapen sünd


Liebe Hanne,

bei aller Bewunderung für deine etymologische Phantasie (ganz abgesehen von
den höchst anerkennenswerten Beiträgen aus dem Schatz von Wossidlo u. a.),
aber gerade weil ich es anerkenne und ernst nehme, erlaube ich mir mir nun
auch eine kritische Anmerkung.

rei(g)enweg: ok (auch), so as de Jungen de Reig' nah ut't Ei krapen sünd

(anders screven: rai(g)enweg: ook, zo as de Jongen de Raig' na uut't Ai
krapen sünd)

Diese Auslegung deines "reigenweg" in deiner Zaunkönig-Übersetzung überzeugt
mich nicht.


   1. *literarisch nicht:* die Vogel-Eltern sind (in verantwortungsvoller
   Nachwuchssorge) auf Nahrungssuche geflogen. Dabei haben sie mutmaßlich die
   Jungen "auf einen Schlag" und nicht nacheinander (so wie die Jungen der
   Reihe nach aus dem Ei gekrochen sind) allein gelassen. Falls du das so aber
   gemeint haben solltest, finde ich das Bild unzutreffend, unpassend.
   2. *etymologisch nicht:* hd. "Reihe" ist in Niederdeutsch "riihe, riige",
   in bescheuerter hochdeutscher Lang-i-Schreibweise "Riehe, Riege". Das findet
   sich in Herrmann-Winters "Hör- und Lernbuch für das Plattdeutsche"
   (Mecklenburg-Vorpommersche) zwar nicht als solches, sondern nur in der
   Verbform
   "*riehen, riegen, rieden:  *reihen, aufreihen, in Reihe bringen"
   Parallel dazu gibt es im gleichen Buch ein paar Zeilen vorher aber die
   Bastard-Vokabel
   "*reigen:* 1. reihen, aufreihen, in Reihe bringen. - 2. in Ordnung
   kommen"

Finde ich höchst seltsam, offensichtlich ein und denselben Wortstamm in zwei
Versionen mit mehr oder weniger derselben Bedeutung an zwei verschiedenen
Stellen ohne Querverbindung und Erklärung zu präsentieren, aber das müsste
ich Frau Herrmann-Winter ggf. vorhalten.

Ich neige auch hier wieder zu der Interpretation, dass manchmal ein und
derselbe Wortstamm im Rest-Platt mal original Niederdeutsch, mal
verhochdeutscht gebraucht wird und dadurch die Sprache verunklart wird.

Du, Hanne, schlägst dich zu der - im "rei"-Teil verhochdeutschten Version
von *Riige*. Spricht für etymologische Findigkeit, macht das literarische
Bild aber nicht stimmig. (Vgl. Zf. 1)

Weiter klärst du uns (korrekt) auf:

 reinweg, reinemang: völlig, gänzlich

(rainweg, rainemang: …)

Eben so hatten Reinhard, Marcus und auch ich dein "reigenweg" verstanden.
Bei Herrmann-Winter findet sich nur der erste Wortteil, aber das tut dem
Wort "reenweg, reggenweg, rainweg" keinen Abbruch:

" *rein, reigen, reiden:* 1. sauber. - 2. gänzlich, wirklich, tatsächlich
(als Verstärkung)."

Die zweite, übertragene/figurative Bedeutung "ganz und gar, vollkommen" von
*"rene/reyne"*  ist übrigens auch schon im Middelnederlandsch
Woordenboek<http://gtb.inl.nl/iWDB/search?actie=article&wdb=VMNW&id=ID74492&lemmodern=rein>attestiert.

In diesem Sinn macht dein "reigenweg" (raigenweg) auch literarisch Sinn
(auch wenn "reenweg" Niederdeutsch m. E. stimmiger wäre).

Wie schon abgehandelt, ist das "g" hier jedenfalls eine etymologisch nicht
gerechtfertigte Zutat, epenthetisch.

Betonen möchte ich noch, dass die beiden Wörter

"pgm. *rīhan- > *riihe, riige*" (hd. Reihe) und
"as. hrêni > *reen/reyn*" (hd. rein, gänzlich)

etymologisch *zwei verschiedene Paar Schuh* sind. Bei *riige* ist das g
nicht epenthetisch/zugefügt, sondern etymologisch originär, eine Veränderung
des germanischen "h". Bei "reen/reyn/reggen" ist es - ob durch Hiattilgung
oder aus andern Gründen - *hinzugefügt.* *Durch die verhochdeutschen
Versionen beider Wörter jeweils mit der Aussprache [aɪ] kommt es im heutigen
(vielleicht nicht nur Mecklenburgischen) Platt zu einer kaum mehr
durchschaubaren Vermischung.*

Met echt-westfœlsken »Goudgaun!«
joachim
--
Kreimer-de Fries
Osnabrügge => Berlin-Pankow


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