Unspezifische Kategorien (was: Nf-part of the SUO in German)

Sebastian Drude sebadru at ZEDAT.FU-BERLIN.DE
Tue Mar 7 23:12:09 UTC 2006


Liebe IL-er,


soweit ich es sehe, vermischen sich bei den Unspezifiziert-Kategorien, 
wie sie bisher in der IL bei einzelsprachlichen Beschreibungen 
angenommen worden sind, bis zu vier verschiedene Gesichtspunkte, die 
sich teilweise überschneiden oder entsprechen können.

-- Kategorien im Sinne von Sowohl-als-Auch, insbesondere, um
	generalisierten Synkretismus zu vermeiden (1+2 Person bei den
	meisten Verbformen im Englischen?);

-- Kategorien im Sinne von Weder-Noch (möglicherweise als
	'Default'-Kategorien), so wohl die engl. Adjektivformen;

-- Kategorien im Sinne von Nicht-Markiertheit, darunter wohl zumindest
	ursprünglich die einfachen Substantivformen als "Unmarkiert für
	Definitheit", da formal weder der eine noch der andere "Marker"
	anzutreffen ist.  So werden sie von mir für das Aweti an
	verschiedener Stelle gebraucht; etwa stehen die mit Suffixen für
	Aspekt gekennzeichneten Formen des Progressiv und Imperfektiv
	den suffixlosen Perfektiv (=Unmarkiert für Aspekt) -formen
	gegenüber. Ähnlich ist bei den Modi der Indikativ der
	"Unmarkierte Modus".  Von solchen Kategorien im Sinne einer
	Markiertheitstheorie hat sich die IL aber gegen Ende der 90er
	offenbar abgewandt.  (Dies läßt das Perfektiv und den Indikativ
	im Awetí unberührt, diese sind auch funktional gut begründet.)

-- Kategorien, für die eine bestimmte Unterscheidung überhaupt nicht
	anwendbar ist.  Hierzu gehören wohl viele Kategorien, die Monika
	Budde annimmt, die ohne Subklassifikationen im funktionalen
	System auskommen will; dann wären etwa Infinitiv-Formen
	"Unspezifisch für Person" und "Unspezifisch für Numerus".

Welche Kategorien nötig, berechtigt und zulässig sind, hängt 
größtenteils von Annahmen über Klassifiaktionsgesichtspunkte und 
-kriterien ab, die nie explizit gemacht worden sind, zumindest nicht als 
Teil der zu axiomatisierenden Theorie.  Welchen Status solche 
Festlegungen hätten und wo sie wie in welcher Theorie (der 
Sprachtheorie?  ihrer Metatheorie?  der Theorie der Sprachbeschreibung?) 
zu verankern wären, ist mir alles andere als klar.

Es ist gut, daß wir nun beginnen, uns darüber systematisch Gedanken zu 
machen.  Ich möchte jedoch davor warnen, sich zu schnell auf einen Typ 
festzulegen und die anderen kategorisch auszuschließen -- sie mögen alle 
in verschiedenen Situationen bei einzelsprachlichen Beschreibungen ihr 
Recht haben (wenn sie denn jeweils sauber zu definieren und zu 
identifizieren sind, wo ich jetzt z.B. die Schwierigkeiten für die 
Weder-Noch-Kategorien für das Deutsche nicht überblicke).

Diese Fragen hängen damit zusammen, wofür die SEO genau gebraucht werden 
soll, und welche Klassifikationen im Bereich der syntaktischen Einheiten 
zwar auch vorhanden sind, aber nicht der SEO angehören.

Beispielsweise gibt es das Prinzip, daß in die SEO strikt nur gehören 
soll, was zur Identifikation von syntaktischen Funktionen oder direkt 
für die semantische Interpretation gebraucht wird (hoffentlich gebe ich 
das jetzt korrekt wider).  Indem sie dies Prinzip sehr ernst nimmt, 
kommt Monika Budde beispielsweise zu dem Schluß, daß Kategorien wie 
"stark" oder "schwach" gar nicht in der SEO gebraucht werden, auch nicht 
bei Adjektiven (mich würde interessieren, ob Du, Monika, das nach 
Andreas Vortrag und der jetzt entstandenen Diskussion aufrecht erhalten 
würdest).

Für die Beschreibung der Kombinierbarkeiten von nominalen Formen im 
Deutschen bräuchte man aber doch solche Kategorien nach wie vor, auch 
wenn es semantisch irrelevante reine kombinatorische Varianten (wie 
Allophone oder Allomorphe) sind.  Wo gehören sie dann hin, wenn nicht in 
die SEO?


Methodologisch komme ich selbst bei meiner Arbeit mit dem Awetí von 
einer ganz anderen Seite:  ich erkenne erst gewisse Formklassen 
(gekennzeichet durch gewisse Affixe oder Hilfswörter oder eben deren 
Abwesenheit), versuche dann, sie nach ihrer Kombinierbarkeit miteinander 
zu einem (evtl. hierarchischen) System anzuordnen, und kann dann erst in 
einem weiteren Schritt versuchen, die einzelnen Klassen 
funktional/semantisch zu charakterisieren.  Kurz: ich gehe den 
semasiologischen Weg von der Form zum Inhalt, oder folge der Richtung 
der Identifikation und gelange erst viel später zu den relevanten 
Definitionen.

Ob die sich dabei ergebenden Gesichtspunkte der Klassifikationen dann 
homogen oder in sich schlüssing und zulässig sind, ist für mich eine 
theoretische und erst viel später interessante Frage, obwohl sich 
natürlich im Extremfall herausstellen kann, daß einige meiner Klassen 
und Klassifikationen gar nicht in die SEO, oder zumindest nicht in den 
funktionalen Teil, gehören (was jetzt nach Monika den starken und 
schwachen Nomenformen droht).

Für die Mittel der Sprachbeschreibung muß aber Platz für solche 
Klassifikationen und insbesondere für die oben angeführten verschiedenen 
Typen von unspezifischen Kategorien sein; auch wenn nicht alles davon 
ins Sprachsystem (in die SEO als Teil von Indilioktsystemen) gehört.

Ein ähnliches Problem mag übrigens auch beim Wortschatz zu bestehen, wo 
einerseits alle auch synchron bildbaren und semantisch transparent 
abgeleiteten und zusammengesetzten Wörter erfaßt und beschrieben werden 
müssen, andererseits das morphologische und syntaktische Lexikon als 
Teil des Sprachsystems möglichst sparsam angelegt ein soll, so daß nur 
die einfachen Morpheme sowie die lexikalisierten komplexen 
morphologischen und syntaktischen Einheiten in das Lexikon als 
Komponente des Sprachsystems gehören; alles andere kann ja durch die 
Regeln der Grammatik konstruiert werden -- oder habe ich das falsch in 
Erinnerung?

Es tut mir leid, wenn ich zu den konkreten Fragen des Deutschen jetzt 
keinen konstruktiven Beitrag geleistet habe und vielleicht auch den 
Rahmen der Diskussion etwas gesprengt und damit die Lösung der 
Sachprobleme mal wieder zugunsten von grundsätzlichen Fragen in die 
Ferne gerückt habe.  Aber sich über solche Fragen bis ins letzte klar zu 
sein, bevor man einzelsprachliche Ad-Hoc-Lösungen einführt, ist /after 
all/ auch eine der großen Stärken der IL.

Herziche Grüße an alle aus Nijmegen,

Sebastian Drude

PS.: Eine Nachfrage:

> 2. Ein definiter adjektivischer Modifikator (wie _dieser_ in _dieser 
> Hut_) wäre semantisch inkompatibel mit _Hut_, würde man _Hut_ 
> ausschließlich Indef zuordnen.

Wieso?  Gibt es ein Prinzip, daß definite Ausdrücke nur mit definiten 
kombiniert werden dürfen?  Ich dachte, genau das Gegenteil sei das 
Prinzip der Definitheit im Deutschen: daß es nur *einen* formalen 
"Träger" der Definitheit innerhalb eines nominalen Ausdrucks gibt 
(Artikel oder Demonstativ bzw. Possessivpronomen, abgesehen von 
Eigennamen u.Ä.), der zu einen für sich nicht spezifischen oder gar 
einen nicht definiten Ausdruck hinzutritt, so daß der Gesamtausdruck 
definit wird.

-- 
|   Sebastian   D R U D E         (Lingüista, Projeto Aweti / DOBES)
|   Setor de Lingüística   --  Coordenação de Ciências Humanas (CCH)
|   Museu Paraense Emílio Goeldi,  Belém do Pará   --  CNPq  --  MCT
|   Cx.P. 399  --  CEP: 66 040 - 170  --  Tel. e FAX: (91) 274 40 04
|   Email:   sebadru at zedat.fu-berlin.de    +   drude at museu-goeldi.br
|   URL:   http://www.germanistik.fu-berlin.de/il/pers/drude-en.html



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