Participles and the General Valency Hypotheses

Hans-Heinrich Lieb lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE
Fri Oct 12 14:37:59 UTC 2007


Liebe Kollegen,

die Sache mit den Partizipien (die mich immer wieder umgetrieben hat) läßt  
mir auch diesmal keine Ruhe. Ich glaube, ich habe eine Lösung gefunden, die 
allen Anforderungen (die ich hier als bekannt voraussetze) Rechnung trägt, 
ohne zu Hilfsmitteln wie morphologischen Strukturierungen greifen zu müssen. 
Also:


A. AUSGANGSBEISPIEL

(1) das morgen von ihm gelesene buch

*morgen von ihm gelesene* NGr, *morgen* und *von ihm* freie Angaben zu 
*gelesene*, also zum Nukleus.


B. WORTBEDEUTUNG BEI *gelesene*:

(2) .gelesen. = ... (wie üblich), wobei

    GELESEN = lambda y: y = lambda x x2 t: (Ex1)(<x, x1, x2> € u.lesen. &     
    <x, t> € Vollendet)

C. BEMERKUNGEN ZU (2)

1. Es handelt sich hier um einen sog. Definitheitsbegriff, bei dem der Inhalt 
also aus der Eigenschaft besteht, mit einer bestimmten Entität identisch zu 
sein, und der Umfang demgemäß die Einermenge dieser Entität ist. Ein 
typischer Fall für solche Begriffe sind die Bedeutungen echter Eigennamen und 
bestimmter Abstrakta wie etwa *klugheit*W; bei diesem ist der Umfang die 
Einermenge der Eigenschaft KLUG, d.h. der Umfang von .klugheit. ist gleich 
dem Inhalt des Begriffs .klug., der die Bedeutung des Adjektivs *klug*W ist 
(Lieb 1985). Auch in (2) liegt ein Definitheitsbegriff vor (solche Begriffe 
sind nicht auf Substantive beschränkt).

Definitheitsbegriffe sind sämtlich einstellig. Damit ist das 
Partizipialadjektiv *gelesen*W = <*gelesen*P, .gelesen.> nullwertig, wie es 
die Analyse von (1) verlangt.

2. Der Begriff .gelesen. wird folgendermaßen gewonnen.

Den Ausgangspunkt bildet der dreistellige Begriff .lesen. als Bedeutung von 
*lesen*W. Auf diesen Begriff wird die semantische Funktion werden3 angewandt, 
die beim Vorgangspassiv eine Rolle spielt (vgl. Lieb 1992: (11)):

(3)  werden3(.lesen.) = .gelesen werden. = ... (wie üblich), wobei
     WERDEN3(.lesen.) = lambda x x2: (Ex1)<x, x1, x2> € u.lesen.

Auf den neuen Begriff wenden wir die semantische Funktion sein3 an (ein 
allgemeines Definitionsschema für solche Funktionen setze ich hier voraus):

(4)  sein2(werden3(.lesen.)) = sein2(.gelesen werden.) = .gelesen worden      
     sein. = ... (wie üblich), wobei

     SEIN2(.gelesen werden.) = lambda x x2 t: <x, x2> € u.gelesen werden. &  
     <x, t> € Vollendet

Achtung: Was vollendet ist, kann auch nur ein Teilvorgang, eine Teilhandlung 
o.ä. eines weiter andauernden Vorgangs usw. sein.

Auf den neuen Begriff wenden wir die semantische Funktion abstraktion an, 
deren Definition relativ einfach ist:

(5)  abstr(sein2(werden3(.lesen.))) = abstr(.gelesen worden sein.) = 
     ... (wie üblich), wobei 

     ABSTR(.gelesen worden sein.) = lambda y: y = das einzige Element von     
     i.gelesen worden sein.


Es ergibt sich nun aus (2) bis (5):

(6)  GELESEN ist logisch äquivalent mit ABSTR(.gelesen worden sein.),

d.h. jeden dieser beiden Ausdrücke könnten wir zur Definition des Begriffs 
.gelesen. benutzen. Ehe ich auf diese Frage eingehe, zeige ich zunächst, daß 
der Begriff .gelesen. angemessen ist für die Bedeutungskomposition.


D. SYNTAKTISCHE ZWISCHENBEDEUTUNG VON *morgen2 von3 ihm4 gelesene5*

(7)  'morgen2 von3 ihm4 gelesene5' = lambda x' V V1:

(Ex)(Et)

(<x, V, V1> hat 'von3 ihm4' 

& (Ax1(Ax2)(<x1, V1, V1> € Corr & <x2, V, V1> € Corr --> <x1, x2, t> € 
u.morgen. geschnitten mit reb(...))

& (Ay)(y € u.gelesen. geschnitten mit reb(...) --> <x, x', t> hat y))


(Der Begriff .morgen. hat u.U. außer der Sprecherstelle x1 und der 
Äußerungsstelle x2 eine weitere deiktische Stelle.) x' ist in dem Beispiel 
der 'Platzhalter' für das Buch. Die Zwischenbedeutung (7) steht in 
Übereinstimmung mit allem bisher Ausgeführten und scheint mir angemessen.


E. *gelesen*1 	ALS PARTIZIP

Die Rolle in analytischen Formen ist unstrittig. THESE: Das Partizip wird in 
sog. Partizipialsätzen als Verbform verwendet.

BEISPIEL:

(8) Immer wieder gelesen, wurde das Buch ein großer Erfolg.

(Das Komma repräsentiert eine bestimmte Intonationseigenschaft.) Ungefähre 
SATZBEDEUTUNG:

(9)  Da es immer wieder gelesen wurde, wurde das Buch ein großer Erfolg.

Bei dieser Interpretation ist es zumindest unplausibel, *gelesen*3 NICHT den 
Begriff .lesen. als Ausgangspunkt für die Bedeutungskomposition 
zuzuordnen.Ich tue dies, und nehme an:

(10)  In der Kategorieninterpretation wird Aktiv interpretiert durch werden3
      mit etwa der folgenden Anwendungsbedingung: Part Prät und Bedeutung     
      eines transitiven Handlungsverbs; und Partizip wird interpretiert durch 
      sein2 mit etwa der folgenden Anwendungsbedingung: Prät und Bedeutung    
      eines transitiven Handlungsverbs. 

Als ZWISCHENBEDEUTUNG für *immer wieder gelesen* ergibt sich dann eine zu (7) 
analoge Bedeutung, bei der jedoch das letzte Konjunkt (mit "y") ersetzt wird 
durch

(11)  <x, x', t> € u(sein2(werden3(.lesen.)) geschnitten mit reb(...)

Was hier fehlt, ist eben die Abstraktion, die zu dem Begriff .gelesen. führt. 
Ein nicht-verbaler Begriff tritt bei der Bedeutungskomposition nicht auf.

Die SYNTAKTISCHE STRUKTUR setze ich folgendermaßen an:

*immer wieder gelesen* (VGr) ist thema zu *wurde das buch ein großer Erfolg* 
(VGr) und antecedens zu *das buch*. Die kausale Bedeutungskomponente ist ein 
Effekt der thema-Funktion.


F. GEWINNUNG DES PARTIZIPIALADJETIVS *gelesen*W

Ich habe in meiner ahd. Grammatik nachgelesen, und es zeigt sich: Bereits 
hier muß das Partizipialadjektiv aus dem Partizip gewonnen werden, obwohl die 
Lage ziemlich kompliziert ist. Für die Gegenwart würde ich morphologische 
Konversion ansetzen, und zwar aufgrund der vorstehenden Analysen wie folgt:

(12)  Von der Stammform *ge les en* und dem Begriff .gelesen worden sein. 
      (s.o. (4)) wird durch Abstraktion (s.o. (5)) die Stammform *ge les en*
      mit dem Begriff .gelesen. (s.o. (2)) gebildet.

Formal, mit den gegenwärtig von mir angenommenen Mitteln:

(13)  m-conv(S)(*ge les en*, .gelesen worden sein., f0, b0, verkettung,       
      identische-intonation, abstraktion)

      = <*ge les en*, .gelesen.>

Aus diesem Stamm und seiner Bedeutung wird  dann das lexikalische Wort 
gewonnen.

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Dies stelle ich hiermit zur Diskussion.


Mit den besten Grüßen,


Hans-Heinrich Lieb 
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 Prof. Dr. Hans-Heinrich Lieb
 FREIE UNIVERSITÄT BERLIN
 FB Philosophie und Geisteswissenschaften
 Institut für Deutsche und Niederländische Philologie
 Habelschwerdter Allee 45
 14195 BERLIN

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 lieb at zedat.fu-berlin.de
 Sekretariat (030) 838-54233
 www.germanistik.fu-berlin.de/il/lieb.html
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