24.2594, Review: Applied Linguistics; Sociolinguistics: Lebsanft and Wingender (eds., 2012)
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Wed Jun 26 05:56:27 UTC 2013
LINGUIST List: Vol-24-2594. Wed Jun 26 2013. ISSN: 1069 - 4875.
Subject: 24.2594, Review: Applied Linguistics; Sociolinguistics: Lebsanft and Wingender (eds., 2012)
Moderator: Damir Cavar, Eastern Michigan U <damir at linguistlist.org>
Reviews: Veronika Drake, U of Wisconsin Madison
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Rajiv Rao, U of Wisconsin Madison
Joseph Salmons, U of Wisconsin Madison
Mateja Schuck, U of Wisconsin Madison
Anja Wanner, U of Wisconsin Madison
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Editor for this issue: Anja Wanner <anja at linguistlist.org>
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Date: Wed, 26 Jun 2013 01:55:34
From: Joseph Reisdoerfer [joseph.reisdoerfer at ci.rech.lu]
Subject: Die Sprachpolitik des Europarats [The Language Policy of the Council of Europe]
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Book announced at http://linguistlist.org/issues/23/23-816.html
EDITOR: Franz Lebsanft
EDITOR: Monika Wingender
TITLE: Die Sprachpolitik des Europarats [The Language Policy of the Council of Europe]
SUBTITLE: Die
PUBLISHER: De Gruyter Mouton
YEAR: 2012
REVIEWER: Joseph Reisdoerfer, Institut Grand-Ducal
OVERVIEW
In October 2010, Hans Lebsanft and Monika Wingender organized an international
conference at the University of Bonn focusing on the European Charter for
Regional or Minority Languages (ECRML). Eleven papers presented at this
congress have been published in a book edited by the two organizers.
The book is divided in two parts: the first, made of three articles, is a
theoretical approach, followed in the second by contributions representing
case studies of different countries or regions. The overall impression is
positive: the book is edited with great care and the contributions are mostly
well structured and quite informative. The reviewer however regrets the lack
of a theoretical article dealing with the political agendas behind the ECRML.
Such a contribution could have been illustrated by a paper analyzing the
problems around the ratification of the ECRML in France. This said the volume
along with a recently published handbook on the ECRML (Lebsanft/Wingender
2012) will surely become a standard reference on the language policy of the
Council of Europe.
ZUSAMMENFASSUNG
Im Oktober 2010 organisierten Hans Lebsanft (Bonn, Romanistik) und Monika
Wingender (Gießen, Slavistik) eine internationale Tagung zur Europäischen
Charta der Regional-oder Minderheitensprachen (ECRM) an der Rheinischen
Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Das hier zu besprechende Buch,
herausgegeben von den beiden Organisatoren, enthält 11 Vorträge, die
anlässlich dieser Tagung gehalten wurden.
Franz Lebsanft, Monika Wingender: ''Einleitung'' (pp. 1-6). Die Autoren
stellen Europarat und ECRM kurz vor.
Mahulena Hofmann: ''Die ECRM aus rechtswissenschaftlicher Sicht'' (pp. 9-21).
Die Autorin fragt sich u. a., ob die Charta die Nationalstaaten nicht infrage
stellen könnte; alles in allem sieht sie in dem Text „einen effektive[n], gut
kontrollierbare[n] völkerrechtliche[n] Vertrag“ (p. 20).
Franz Lebsanft (pp. 23-40): ''Die ECRM aus soziolinguistischer Sicht. Begriffe
und Maßnahmen.'' In diesem Beitrag werden Sprachkonzepte und sprachplanerische
Konzepte von der Soziolinguistik her beleuchtet; der Autor kommt zum Schluss,
dass der sprachpolitische Ansatz der Charta -- „Sprachen schützen, nicht
Sprecher“ -- im Ansatz verfehlt ist und dass eine „wesentlich differenziertere
Sprachpolitik vonnöten [sei], als sie die Charta ermöglichen kann und will“
(p. 38).
Pirkko Nuolijärvi: ''Finnland. Die ECRM im Kontext der finnischen
Sprachenpolitik'' (pp. 43-56). Der Autor hebt hervor, dass „Ratifizierung und
Implementierung der ECRM … wesentliche Elemente der heutigen Sprachenpolitik
Finnlands [sind] (p. 53).
Roswitha Fischer: ''Großbritannien und Nordirland. Die Sprachen des
Vereinigten Königreichs und die ECRM'' ( pp. 57-72). Wie in Finnland ist auch
im Vereinigten Königreich die ECRM zu einem wichtigen Bestandteil der
Sprachenpolitik geworden (pp. 70-72).
Daniela Pirazzini: ''Italien. Die ECRM im Licht der Debatte um das
Sprachgesetz Nr. 482 'Norme in materia di tutela delle minoranze linguistiche
storiche' (15.12.1999)'' (‘Normen zum Schutz der historischen
Sprachminderheiten’) (pp. 73-85). Der Autorin zufolge erklärt sich das
Scheitern der Ratifizierung der ECRM in Italien durch ungenaue und
unwissenschaftliche Formulierungen im Sprachgesetz 482. So nennt Artikel 2 des
Gesetzes 12 Sprachen, die geschützt werden sollen und impliziert
gleichzeitig, dass Dialekte, lokale Varietäten … zu einer dieser 12
Dachsprachen zuzurechnen sind ; dies jedoch wird oft von den Sprechern
abgelehnt und führt sogar zu heftigen linguistischen und politischen
Kontroversen, die die Ratifizierung der ECRM blockieren (pp. 73, 75-76).
Felix Tacke: ''Belgien. Territorialitätsprinzip und Minderheitenproblematik
vor dem Hintergrund der ECRM''(pp. 87-104). Auch in Belgien, einem Land, das
durch einen latenten Sprachkonflikt gezeichnet ist, ist eine Unterzeichnung
geschweige denn eine Ratifizierung der ECRM zurzeit ausgeschlossen; die
Flämische Gemeinschaft befürchtet nämlich, dass die ECRM eine Französierung
ihres Territoriums begünstigen könnte (pp. 101-102).
Tomasz Wicherkiewicz: ''Georgia. A non-EU State Awaiting the Ratification of
the ECRML'' (pp. 105-117). Obschon die ECRM in der sprachpolitischen
Diskussion der von Krisen geschüttelten Kaukasusrepublik eine wichtige Rolle
spielt, ist zurzeit, unter anderem wegen der Konflikte in Abchasien und
Südossetien sowie dem angespannten Verhältnis zur Russischen Föderation, eine
Ratifizierung der Charta ausgeschlossen (p. 114-116).
Ruth Bartholomä : ''Türkei. Die ECRM und die Minderheitenfrage'' (pp.
119-132). Im politischen System der Türkei gibt es weder Minderheiten noch
Minderheitensprachen, da jeder türkische Staatsbürger Türke ist und jeder
Türke Türkisch als Muttersprache hat. Diese Logik widersetzt sich der
Unterzeichnung der Charta und nur der Prozess der Annäherung an die EU könnte
eventuell Bewegung in den politischen Diskurs der Türkei bringen (130).
Katarzyna Wiśniewiecka-Brückner: ''Polen. Die ECRM als neuer Rahmen für
bekannte Regelungen'' (pp. 133-150). In Polen wurde schon 2005 ein Gesetz zum
Schutz der Minderheiten und der Regionalsprachen gestimmt. Die Bestimmungen
des Gesetzes wurden bei der Ratifizierung der ECRM im Jahre 2009 übernommen,
ohne jedoch aktualisiert worden zu sein (p. 148).
Alain Viaut: ''Ukraine. La protection des langues minoritaires et la gestion
de la faible distance linguistique à la lumière de la CELRM'' (‚Der Schutz von
Minderheitensprachen und der Umgang mit der Problematik von nah verwandten
Sprachen im Rahmen der ECRM’) (pp. 151-163). Der Autor zeigt, wie die ECRM
dazu beizutragen vermag, die Koexistenz von nah verwandten Sprachen -- hier
Russisch/Ukrainisch/Ruthenisch -- zu organisieren.
Monika Wingender: ''Russisch als neue Minderheitensprache im östlichen Europa.
Die ECRM und die Diskussion um das Russische in Nachfolgestaaten der UdSSR''
(pp. 165-189). In diesem Beitrag zeigt die Autorin, wie Unterzeichnung und
Ratifizierung der Charta in den Nachfolgestaaten der UdSSR oft an die
Einstellung gegenüber dem Russischen, dort eine Minderheitensprache, gebunden
ist; dies kann zu einer Ablehnung der ECRM führen, wie z.B. in den Baltischen
Staaten. Es stellt sich auch die Frage, inwiefern die ECRM, die an sich für
Westeuropa verfasst wurde, den komplexen linguistischen, historischen und
politischen Gegebenheiten in Osteuropa gerecht werden kann.
EVALUATION
Wir haben es hier mit einem informativen und gut strukturierten Buch zu tun:
Auf einen ersten allgemein-theoretischen Teil -- Juristische und linguistische
Grundlagen der ECRM; Beiträge 1-3 -- folgen eine Reihe eher praktisch
ausgerichteter Beiträge zur ECRM in der sprachpolitischen Diskussion, in denen
konkrete Fallbeispiele analysiert werden; auch hier zeichnen sich die meisten
Artikel durch einen klaren Aufbau aus: Auf die Analyse der Sprachensituation
folgt eine Beschreibung der Implementierung die ECRM im jeweiligen Land.
Die zwei Beiträge der Herausgeber sind besonders hervorzuheben. Der Aufsatz
von Franz Lebsanft (pp. 23-40) zeichnet sich durch seinen kritischen Ansatz
aus, den man leider in anderen Beiträgen oft vermisst. Sehr interessant ist
auch die Arbeit von Monika Wingender zum Russischen als neue
Minderheitensprache im östlichen Europa (pp. 165-189). Im zweiten Teil zur
Sprachensituation im Baltikum (pp. 172-178) wird einerseits der komplexe
Statuswandel des Russischen von einer dominierenden zu einer dominierten
Sprache beschreiben, andererseits die Rolle der Titularsprachen im
nation-building Prozess herausgearbeitet. Hervorzuheben ist auch, dass die
Autorin grundlegende Fragen zur Terminologie und Begrifflichkeit der ECRM (p.
171) sowie die Problematik der Ablehnung der Charta anschneidet (pp. 177-178).
Wie oft in Kongressakten entsprechen einige Artikel nicht den Erwartungen. So
gibt es in dem Artikel zur Ukraine von A. Viaut einen langen, zu langen,
Exkurs (pp. 159-161) über den Namen des Russinischen/Ruthenischen;
enttäuschend ist ebenfalls der Beitrag über Italien von Daniela Pirazzini, die
hauptsächlich das Sprachgesetz Nr. 482 „Norme in materia di tutela delle
minoranze linguistiche storiche“ behandelt und dabei sowohl die
Sprachensituation in Italien wie die problematische Implementierung der ECRM
außer Acht lässt.
Es gibt natürlich auch Lücken zu beklagen. So vermisst man eine eine
grundsätzliche Analyse über die Charta als politischen Text. Die ECRM soll an
sich Sprachkonflikte und politische Konflikte im Allgemeinen schlichten; sie
tut es sicherlich, aber sie polarisiert auch, sie kann Konflikte hervorrufen
und zentrifugale Kräfte in einem Staat unterstützen. Dies mag u. a. erklären,
dass verschiedene Staaten, sich weigern, den Text zu unterschreiben.
Frankreich z.B. hat die ECRM noch nicht ratifiziert, und es wäre ohne Zweifel
interessant gewesen, dem Band einen Artikel zur ECRM in diesem wichtigen
europäischen Staat beizugeben; das Fehlen eines Frankreichartikels ist umso
unverständlicher, als einer der Autoren des Bandes, A. Viaut, zu dieser
Problematik geforscht und 2002 einen ausgezeichneten Artikel zur Rezeption der
„Charte européenne des langues régionales ou minoritaires“ (= ECRM) in
Frankreich verfasst hat.
In summa jedoch liegt hier ein wichtiges, gut ediertes Buch vor, das
interessante Informationen zur Charta und zur Implementierung ihrer
Bestimmungen in verschiedenen Ländern enthält. Zusammen mit dem vor kurzem
publizierten Band „Europäische Charta der Regional- oder
Minderheitensprachen“ derselben Herausgeber (Lebsanft und Winkender 2012) wird
es wohl ein Standardwerk zur Sprachpolitik des Europarats werden.
BIBLIOGRAPHIE
Lebsanft, Franz, und Wingender, Monika. 2012. Europäische Charta der Regional-
oder Minderheitensprachen. Ein Handbuch zur Sprachpolitik des Europarats.
Berlin ; Boston, Mass.: de Gruyter.
Viaut, Alain. 2002. Apport et réception française de la Charte européenne des
langues régionales ou minoritaires : approche sociolinguistique. (‚Beitrag und
Rezeption in Frankreich der Europäischen Charta der Regional- oder
Minderheitensprachen: Ein soziolinguistischer Ansatz’) Revue d’études
comparatives Est-Ouest. Dossier: Points de vue sur la Charte européenne des
langues régionales ou minoritaires. 33 (1) 9-48. URL:
http://www.persee.fr/web/revues/home/prescript/article/receo_0338-0599_2002_nu
m_33_1_3131
Aufgerufen: 11. II. 2013.
ABOUT THE REVIEWER
Joseph Reisdoerfer studied Classics and French in Heidelberg, Angers, Reims,
Nancy, and Paris and holds doctorates in French literature (Nancy 2),
linguistics (Nancy 2) and Latin (Paris X Nanterre). He teaches Latin at the
Athénée grand-ducal in Luxembourg and is doing research in French and Latin
linguistics and in sociolinguistics.
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LINGUIST List: Vol-24-2594
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