36.944, Confs: Was prägt die deutsche Sprache? Zum Verhältnis von natürlicher Sprachentwicklung und metasprachlicher Intervention. (Germany)
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Tue Mar 18 04:05:02 UTC 2025
LINGUIST List: Vol-36-944. Tue Mar 18 2025. ISSN: 1069 - 4875.
Subject: 36.944, Confs: Was prägt die deutsche Sprache? Zum Verhältnis von natürlicher Sprachentwicklung und metasprachlicher Intervention. (Germany)
Moderator: Steven Moran (linguist at linguistlist.org)
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Date: 18-Mar-2025
From: Vita Kraft [vita.kraft at uni-wuerzburg.de]
Subject: Was prägt die deutsche Sprache? Zum Verhältnis von natürlicher Sprachentwicklung und metasprachlicher Intervention.
Was prägt die deutsche Sprache? Zum Verhältnis von natürlicher
Sprachentwicklung und metasprachlicher Intervention.
Date: 26-Mar-2026 - 27-Mar-2026
Location: Würzburg, Germany
Contact: Vita Kraft
Contact Email: vita.kraft at uni-wuerzburg.de
Meeting URL:
https://www.germanistik.uni-wuerzburg.de/sprawi/forschung/tagungen/tagung-2026-was-praegt-die-deutsche-sprache/
Linguistic Field(s): General Linguistics
Subject Language(s): German (deu)
Language Family(ies): German
Submission Deadline: 30-Apr-2025
Was prägt die deutsche Sprache?
Zum Verhältnis von natürlicher Sprachentwicklung und metasprachlicher
Intervention.
Tagung an der Universität Würzburg vom 26.—27.03.2026
Organisation: Wolf Peter Klein, Michael Breyl, Fabienne Fulst, Vita
Kraft, Linda Stark
Schlagwörter: Sprachgebrauch – Sprachsystem, Gegenwartssprache –
Sprachgeschichte, Sprachwandel – Spracherwerb, Objektsprache –
Metasprache, Natur/Entwicklung – Intervention/Steuerung, Spracherwerb
– sprachliches Lernen, Wissen - Können/Handeln, implizit – explizit
Was prägt die deutsche Sprache aktuell und wodurch ist sie in der
Vergangenheit geprägt worden? Anders formuliert: Warum besitzt die
deutsche Sprache genau die Gestalt, die sie heute aufweist? Bei der
Beantwortung dieser Frage muss man zunächst die Kräfte identifizieren,
die grundsätzlich den Gang jeder Sprachentwicklung beeinflussen. Sie
lassen sich in zwei Felder einteilen, die den Sprachgebrauch
bestimmen, die Spracherwerbsprozesse begleiten und die in der Folge
zur Ausbildung einer spezifischen Spracharchitektur (Varietäten,
Register) mit jeweils spezifischen Sprachsystemausprägungen führen.
Das erste Kraftfeld umfasst Prinzipien, die meistens in
sprachsystematischen Perspektiven beschrieben und terminologisch als
implizit, sprachinhärent, innersprachlich, unbewusst oder natürlich
charakterisiert werden. Man denke beispielsweise an das
Ökonomie-Prinzip (z.B. Ronneberger-Sibold 1980), das Analogie-Prinzip
(z.B. Becker 1990) und verschiedene Formen von (morphologischen)
Natürlichkeitsprinzipien, die häufig auf Sprachwandelprozesse bezogen
werden (z.B. Nübling 52017, Fleischer 2011: Kap. 16). Auch für
Grammatikalisierungsprozesse nimmt man oft Wirkungszusammenhänge (z.B.
in Form syntaktischer Reanalysen) an, die einen ähnlichen
Prinzipiencharakter besitzen. Spracherwerbsprozesse werden auf
derselben Linie ebenfalls mit solchen Prinzipien in Zusammenhang
gebracht (z.B. Clark 1993, Meibauer 2001, Tomasello 2003). Vor dem
Hintergrund solcher Horizonte geht man davon aus, dass sowohl
individuelle als auch überindividuelle Sprachentwicklungsprozesse
nicht bewusst gesteuert werden (können), sondern sich sozusagen selbst
optimieren, etwa durch den prinzipienabhängigen Auf- und Ab-bau von
Variation bzw. Irregularität (z.B. Haider 2015, Weiß 2024). In eine
ähnliche Richtung geht es, wenn man den Sprachwandel als Phänomen der
dritten Art begreift, also weder als vom Menschen gemacht noch als
Naturphänomen, sondern als ungeplantes Ergebnis einer Vielzahl
individueller sprachlicher Handlungen, die als solche nicht auf die
Veränderung der Sprache zielen (Keller 2014, Schmid 2024: Kap. 5.7).
Die unterschiedlichen Formen der Mündlichkeit stehen bei solchen
prinzipienorientierten Ansätzen oft im Vordergrund, weil die
Lautsprache als primäre, „eigentliche“ Verkörperung von Sprache
verstanden wird.
Das zweite Kraftfeld umfasst alle möglichen metasprachlichen
Initiativen, durch die Sprache, ihr Gebrauch und ihre Entwicklung
bewertet, kodifiziert und in der Folge womöglich in eine gewisse
Richtung gedrängt wird (z.B. Fleischer 2011: Kap. 14, v. Polenz 2013,
Klein 2014). Im Gegensatz zu den o.g. Prinzipien werden solche
metasprachlichen Interventionen terminologisch häufig als explizit,
sprachextern, außersprachlich, bewusst, künstlich, normativ oder
unnatürlich charakterisiert. Prototypisch findet sich dieses Kraftfeld
bei einem Blick auf die Schriftsprache (z.B. Fuhrhop 2024). Die
gegenwärtige Schriftgestalt des Deutschen ist demnach das Ergebnis
bewusster, metasprachlicher Interventionen mit dem Ziel der
Sprachsteuerung („Orthographie-Regelungen“). Ähnliches ließe sich für
den Umgang mit Fremdwörtern und registerbezogene
Sprachselektionsprozesse annehmen (z.B. in der Wissenschaftssprache:
Latein > Deutsch > Englisch). Die allmähliche Herausbildung der
deutschen Standardsprache wird häufig unter dieser Perspektive
begriffen. Konzepte wie Sprachstandardisierung, Sprachnormierung und
Sprachkodifizierung setzen auf die Wirkungsmöglichkeit bewusster
Sprachsteuerung. In allen gesellschaftlichen Diskursen, durch die
„bessere“ Sprachzustände offensiv verwirklicht werden sollen (z.B.
unter der Überschrift der politischen Korrektheit oder der
Gendergerechtigkeit), wird vorausgesetzt, dass die Sprachentwicklung –
zumindest rudimentär – über metasprachliche Interventionen steuerbar
ist. Diese Idee lässt sich auch auf Spracherwerbsprozessen übertragen:
Sowohl in mutter- als auch in fremdsprachlichen Vermittlungskontexten
spiegelt sie sich im Vertrauen darauf, dass mit didaktischen
Interventionen das sprachliche Handeln der Lernenden beeinflusst
werden kann und dadurch Lernfortschritte zu erzielen sind. Didaktische
Erfolge würden sich demzufolge im Sprachgebrauch der Lernenden
niederschlagen. Vor diesem Hintergrund könnten institutionalisierte
sprachdidaktische Interventionen als ein Einfallstor zur Steuerung von
überindividuellen Sprachentwicklungsprozessen betrachtet werden (vgl.
z.B. Knobloch 2000). Welche objekt-sprachliche Wirksamkeit
metasprachliche Vermittlungsansätze tatsächlich haben (können), wird
in der sprachdidaktischen Forschung jedoch zunehmend hinterfragt (z.B.
Binanzer u.a. 2022).
Die Tagung hat zum Ziel, die möglichen Wechselwirkungen und Bezüge
zwischen dem meta-sprachlichen Kraftfeld und dem
natürlich-sprachinhärenten Kraftfeld systematisch in den Blick zu
nehmen. Dies kann einerseits mit sprachtheoretisch angelegten
Beiträgen, andererseits mit empirisch fundierten Analysen erfolgen. Es
sind also (u.a.) Vorträge zu folgenden Fragenkomplexen und
Phänomenbereichen denkbar:
• Ist die Entwicklung der deutschen Sprache steuerbar und, wenn ja,
in welchem Maß und an welchen Punkten? Wie lässt sich das Verhältnis
von Steuerungsinitiativen und prinzipienorientierter Sprachentwicklung
theoretisch modellieren und empirisch erforschen?
• Inwiefern weisen die beiden Kraftfelder an fest umrissenen Stellen
der Sprachentwicklung in Vergangenheit und/oder Gegenwart einen
gleich- oder gegenläufigen Charakter auf? Bewegt sich der
prinzipiengesteuerte Sprachwandel in dieselbe Richtung wie der Effekt
von metasprachlichen Steuerungsinitiativen? Oder ergeben sich durch
meta-sprachliche Aktivitäten eher Reibungen und Irritationen gegenüber
den von Prinzipien angetriebenen Sprachentwicklungen?
• Welche aktuellen Variationsphänomene könnten auf welche
prinzipiengesteuerten Sprachveränderungen hindeuten? Wie verhält sich
der metasprachliche Diskurs zu diesen Variationsphänomenen und wie
ließe er sich prinzipienorientiert charakterisieren?
• Hätte die deutsche Sprache der Gegenwart auch ohne die verschiedenen
Normdiskussionen die Gestalt angenommen, die sie heute besitzt? Welche
(phonetischen, graphematischen, morphologischen, syntaktischen)
Phänomene lassen sich diesbezüglich näher betrachten?
• Welche Entwicklungstendenzen im Sprachgebrauch der Gegenwart oder
Vergangenheit zeugen von einer erfolgreichen metasprachlichen
Einflussnahme? Lassen sich Spuren solcher Erfolge bis zur Ebene des
Sprachsystems weiterverfolgen?
• Welche Rolle spielen digitale Medien bei der Aktualisierung von
sprachlichen Steuerungsversuchen? Könnten sich in digitalen Medien
Sprachentwicklungen abzeichnen, die sich gegenläufig zum Sprachwandel
in anderen medialen Umgebungen verhalten? Inwiefern hängt die
metasprachliche Steuerbarkeit des Sprachgebrauchs von
unter-schiedlichen Kommunikationskontexten ab? Ist der Sprachgebrauch
in formellen Kontexten möglicher-weise leichter steuerbar als in
informellen?
• Inwiefern spiegeln sich (politische) metasprachliche
Steuerungsversuche in der fach-didaktischen Debatte bzw. in
fachdidaktischen Materialien? Welche Rolle spielen didaktische
Interventionen bei der Umsetzung von metasprachlichen
Steuerungsversuchen? Inwiefern kann der schulische Sprachunterricht
als Scharnier für Steuerungsversuche verstanden werden, mit denen die
überindividuelle Sprachentwicklung in eine gewisse Richtung gedrängt
werden soll?
Um die Einreichung von Abstracts von max. 400 Wörtern zzgl. Literatur
an vita.kraft at uni-wuerzburg.de wird bis zum 30.4.2025 gebeten.
Eine Förderung der Tagung wird angestrebt.
Aktuelle Infos finden Sie hier:
https://www.germanistik.uni-wuerzburg.de/sprawi/forschung/tagungen/tagung-2026-was-praegt-die-deutsche-sprache/
LITERATUR
• Becker, Th. (1990): Analogie und morphologische Theorie. München.
• Binanzer, A. u.a. (Hg.) (2022): Implizites und explizites
sprachliches Wissen und Vermitteln – Inter-disziplinäre
Fragestellungen – disziplinäre Zugänge. Bulletin suisse de
linguistique appliquée 115.
• Clark, E. (1993): The Lexicon in Acquisition. Cambridge.
• Fleischer, J. (2011): Historische Syntax des Deutschen. Eine
Einführung. Tübingen.
• Fuhrhop, N. (2024): Schriftgrammatische Perspektiven auf das
Amtliche Regelwerk. In: Krome, S. u.a. (Hg.): Orthographie in
Wissenschaft und Gesellschaft. Schriftsystem – Norm –
Schreib-gebrauch. Berlin / Boston, 43–61.
• Haider, H. (2015): “Intelligent design” of grammars – a result of
cognitive evolution. In: Adli, A. u.a. (Hg.): Variation in Language:
System- and Usage-based Approaches. Berlin u.a., 203–238.
• Keller, R. (42014): Sprachwandel. Von der unsichtbaren Hand in der
Sprache. Tübingen.
• Klein, W. P. (2014): Gibt es einen Kodex für die Grammatik des
Neuhochdeutschen und, wenn ja, wie viele? Oder: Ein Plädoyer für
Sprachkodexforschung. In: Plewnia, A. / Witt, A. (Hg.): Sprachverfall?
Dynamik – Wandel – Variation. Berlin / Boston, 219–242.
• Knobloch, C. (2000): Spracherwerb und Sprachwandel: Zweckehe oder
gefährliche Liebschaft? In: Siegener Papiere zur Aneignung
sprachlicher Strukturformen, 7, 1–14.
• Nübling, D. (52017): Historische Sprachwissenschaft des Deutschen.
Tübingen.
• Meibauer, J. (2001): Sprachwandel und Spracherwerb – eine Skizze am
Fall der Wortbildung. In: Bentzinger, R. u.a. (Hg.): Sprachgeschichte,
Dialektologie, Onomastik, Volkskunde. Stuttgart, 147–155.
• v. Polenz, P. (22013): Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter
bis zur Gegenwart. Bd II: 17. und 18. Jahrhundert. Berlin.
• Ronneberger-Sibold, E. (1980): Sprachverwendung, Sprachsystem:
Ökonomie und Wandel. Tübingen.
• Schmid, H. U. (2024): Einführung in die deutsche Sprachgeschichte.
Berlin.
• Tomasello, M. (2003): Constructing a Language: A Usage-Based Theory
of Language Acquisition. Harvard.
• Weiß, H. (2024): How to explain linguistic variation and its role in
language change. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 43 (1), 19–40.
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