LL-L "Secret codes" 2002.02.19 (02) [E/LS/German]

Lowlands-L sassisch at yahoo.com
Tue Feb 19 17:41:37 UTC 2002


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 L O W L A N D S - L * 19.FEB.2002 (02) * ISSN 189-5582 * LCSN 96-4226
 Web Site: <http://www.geocities.com/sassisch/rhahn/lowlands/>
 Rules: <http://www.geocities.com/sassisch/rhahn/lowlands/rules.html>
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 Server Manual: <http://www.lsoft.com/manuals/1.8c/userindex.html>
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 A=Afrikaans Ap=Appalachian D=Dutch E=English F=Frisian L=Limburgish
 LS=Low Saxon (Low German) S=Scots Sh=Shetlandic Z=Zeelandic (Zeeuws)
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From: R. F. Hahn <sassisch at yahoo.com>
Subject: Secret codes

[English introduction below]

Leve Lüüd',
Mien Fründ Hans Jürgen Hebold in Barmstedt, Sleswig-Hulsteen, was so leev un
hett mien 'n Kopie vun 'n Artikel över 'n ole Geheemspraak vun de Hamborger
Havenarbeiders tostüürt.  De findt Ji ünnen.
Grötens,
Reinhard/Ron

Folks,
My friend Hans Jürgen Hebold in Barmstedt, Schleswig-Holstein, has been so
kind as to send me a copy of an article about an old, now virtually extinct
secret language once current among Hamburg's port workers, later adopted into
certain other social circles, apparently in those associated with
working-class-dominated entertainment industry.  You will find the article (in
German) below.  Originally, _Ketelkloppers_ (German _Kesselklopfer_) used to
specifically denote workers that hammered calcium deposits out of boilers.
Later is came to denote also boilermakers, riveters, and finally all types of
manual laborers in the shipbuilding and wharf industry.  Their secret code
(which resembles Pig Latin used among English speakers) is based on Low Saxon
(Low German).  For example, the sentence _Hest du al wat eten?_ 'Have you
eaten yet?' becomes _Estki udi ali atwi eteni?_  I guess you get the idea
Regards,
Reinhard/Ron

***

HAMBURGS GEHEIMSPRACHE
KESSELKLOPPER
Die Sprache der Arbeiter zu Zeiten der Dampfschifffahrt, der Ketelkopper, ist
erst jetzt erforscht.

Christop Rind
_Hamburger Abendblatt_
Dienstag, 12.02.02

Diese Sprache ist nur Eingeweihten vertraut - und das war immer schon ihr
Sinn. Eine "Geheimsprache" nennt sie der habilitierte Sprachforscher Dr. Klaus
Siewert (47). Ihre Anfänge liegen im Dunkel der riesigen Kessel der
Dampfschiffe, in denen die Ketelklopper ("Kesselklopfer") ihre harte Arbeit
erledigten: Im flackernden Schein der Karbid-Stirnlampen schlugen sie mit
Hammer und Meißel, später mit Spezialhämmern in wuchtigen Schlägen die
kalkartigen, festgebrannten Ablagerungen von den heißen Kesselwänden und
-böden - und verfemdeten ihr Plattdeutsch, "um sich besser verständigen zu
können", wie der Sprachforscher aus Münster jetzt herausgefunden hat.

Das Ergebnis: eine Sprache, die, eigenen Regeln folgt. Die Anfangskonsonanten
rutschen ans Wort- oder Silbenende, dort angehängt wird jeweils ein "i". So
beginnt jedes Wort mit einen Vokal, "der aus Lautkörper besser hörbar ist", so
Siewert. Auf diese Weise wird aus dem hochdeutschen Satz "Hast du schon etwas
gegessen? und der plattdeutschen Version "Hest du al wat eten?" in der Sprache
der Ketelklopper "Estki udi ali atwi eteni?"
Und dieses Kauderwelsch soll besser verständlich sein?
Siewert weiß, daß "dies auf Anhieb abwegig erscheint". Doch weil durch die
Veränderung alle Wörter mit Vokalen beginnen und die Anfangskonsonanten durch
vokalen Zusatz am Wortende akustisch hervorgehoben werden, käme es im Ergebnis
"zu einer besseren akustischen Hörbarkeit der verfremdeten Ketelklopperwörter
gegenüber der Standardsprache".
Immer vorausgesetzt, daß die Sprecher die Regeln der Wortveränderung so weit
verinnerlicht haben, daß sie, ohne groß darüber nachzudenken, das merkwürdige
Idiom fließend sprechen und verstehen können.
So wie Boris Kegel-Konietzko (77) aus Blankenese. Der Biologe kann sich in
neun Sprachen verständigen und hat, weil er viele Jahre in Afrika gelebt hat,
auch kein Problem damit, Kisuaheli auf Ketelklopper-Art zu verfremden. Als
Schüler in den Dreißigerjahren hat er das "Barmbeker Latein" gelernt, wie man
damals scherzhaft sagte. Er kann aus dem Stand die "Loreley" in dieser
Sprachform rezitieren.
Mit dem Ende der Dampfschifffahrt um 1930 starb auch der Berufszweig der
Ketelklopfer aus, die wegen ihrer Drecksarbeit zur "Schwarzen Gang" im Hafen
gehörten und die von anderen Beschäftigten auf St. Pauli bisweilen abschätzig
behandelt werden. Ihr Job in den Werften verschwand innerhalb weniger Jahte,
nicht aber ihre Sprache. Um 1940 tauchte an Hamburger Schulen eine
Hochdeutschversion nach Ketelklopperregeln auf, die einigen alten Hamburgern
ebenfalls als "Barmbeker Latein" in Erinnerung ist. Ein Hamburger Informant
von Siewert hat erlebt, daß Hamburger Matrosen im Zweiten Weltkrieg sich
untereinander "auf Ketelklopper" morsten - aus Spaß oder wenn ihnen nicht
genug Zeit zum Verschlüssel der Texte blieb.
Für Sprachforscher Siewert ist klar: Die Ketelkloppersprache entwickelte sich
"vom identitätsstiftenden Mittel innerhalb innerhalb der Sprechergruppe zur
Geheimsprache gegenüber Dritten". Dafür gibt es viele Belege, so von einer
Abendblatt-Leserin, Jahrgang 1921, die bis 1939 die Schule Altona besucht hat,
und die dem Forscher bestätigte, daß damals unter Schülerinnen die
Geheimsprache zum Austausch von Neuigkeiten benutzt wurde.
Und der Code tat seine Wirkung, nichteingeweihte verstanden nichts - und sie
sollten nichts verstehen: eben das ist das wichtigste Merkmal der
Geheimsprachen. Deshalb sind sie Jahrhunderte lang unter Bauern und
Viehändlern, unter Gauklern und Gaunern, unter Musikanten und reisenden
Kaufleuten üblich gewesen und in regional verbreuteten Dialekten auch heute
noch nachweisbar (siehe "Lexikon") und ein begehrter Untersuchungsgegenstand
des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten und von Siewert
in Münster geleiteten Projekts "Deutscher Geheimsprachen".
Eine Abendblatt-Leserin hat ihm berichtet, daß ihr im Juli 2000 verstorbener
Vater "seinen drei Töchtern, als wir Kinder waren", die Kunstsprache
beigebracht habe. So breitete sich die Ketelkloppersprache vom Hafen auf
angrenzende Stadtgebiete aus. Siewert hat Belege, daß sich "in den 50er-
Jahren  Tanzmusiker" auf diese Art unterhielten, "vermutlich hatten sie die
Regeln auf dem Kiez aufgschnappt".
Der Wissenschaftler aus Westfalen, Präsident der Internationalen Gesellschaft
für Sondersprachenforschung (IGS), hatte vor einem Jahr nach einer
bundesweiten Suchmeldung von der Ketelkloppersprache erfahren. Siewert: "In
der sprachwissenschaftlichen Literatur gab es keine Hinweise auf diese Geheim-
oder Sondersprache." Seine Neugier war entfacht.
Nach Hinweisen im Hamburger Abendblatt haben sich bei ihm mehr als 70 Leser
gemeldet, die Einzelheiten über den Ursprung oder den Gebrauch dieser
Sprachverfremdung mitteilen konnten. So stieß der Sondersprachenforscher auch
auf das älteste Tondokument einer deutschen Geheimsprache: eine 100 Jahre alte
Aufnahme des Hamburger "Ketelkopperliedes" auf einer leicht beschädigten
Schellackplatte, deren Pressung Siewert "auf die Zeit zwischen 1920 und 1928"
datieren kann. Auf der Platte singt Charly Wittong das Titellied "Hamborger
Ketelklopper", das der damals bekannte Sänger vor dem Ersten Welkrieg
regelmäßig im Cafe Kaiser am Schulterblatt vorgetragen haben soll. In einer
Strophe wechselt er vom Platt in die "Ketelkloppersprook".

Schriftliche Belege über die Hamburger Geheimsprache sind bisher nicht
aufgetaucht, abgesehen von einer Erwähnung in dem 1893 in zweiter Auflage
erschienenen Buch "Ut Vadders Tiden". Siewert geht davon aus, daß die
Sondersprache in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden ist, mit dem ende
der Dampfschifffahrt um 1930 ihre Wurzeln verlor und seitdem auf dem Rück-zug
ist. Ein Hamburger, der im Hafen beschäftigt war, und um 1950 Plattdeutsch
sprechende Kaiarbeiter und Schauerleute nach der "Ketelkloppersprook" fragte,
habe ihm berichtet: "Das war schon damals vergebens."

Lexikon : Die Geheimsprachen
Die "Ketelkloppersprache" zählt Forscher Dr. Klaus Siewert aus Münster zu den
Geheimsprachen in Deutschland. Sie werden benutzt, um Außenstehende vom
Verständnis auszuschließen. Die Verfemdung vun Wortteilen nach festen Regeln
(Umstellung der Silben, Einfügung von Vokalen) gibt es nach ähnlichem Muster
gibt es auch in der Geheimsprache böhmischer Wandermusikanten ("U-Sprache").
Die Einzelheiten der Hamburger Hafenarbeitersprache nennt Siewert "einmalig".
Andere Geheimsprachen sind zum Beispiel die Rotwelsch-Dialekte, die Worte aus
dem Hebräischen oder aus Zigeunersprachen in die Standardsprache übernehmen
und auf diese Art verfremden.

Info:
Klaus Siewert, _Die Ketelkloppersprook. Geheimsprache der Hamburger
Hafenarbeiter_, Buch mit CD, ca. Euro 13, ab März/April im Handel oder in den
Abendblatt-Geschäftsstellen.

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