Participles and the General Valency Hypotheses

Hans-Heinrich Lieb lieb at ZEDAT.FU-BERLIN.DE
Fri Nov 9 13:12:29 UTC 2007


Liebe Kollegen,

Herrn Noldas Beispiel hat mir sehr zu denken gegeben! Ergebnis meines 
Nachdenkens: Mein von Herrn Nolda zitierter und kritisierter Vorschlag wird 
überraschend stark gestützt. Jetzt zu den Einzelheiten.

1. Vielleicht ist das nur eine Formulierungsfrage, aber durchweg davon 
auszugehen, daß es sich um Zustandspassivformen handelt, scheint mir eine 
petitio principii. Also Korrektur: "Schwierigkeit für die Liebsche Analyse".

2. Einzelheiten: Bei Nolda (1') ist auch Ellipse denkbar, dies ist aber nicht 
wesentlich. - Ausgangspunkt: ein transitives Verb *öffnen*W = <*öffnen*P, 
.öffnen.>. Der Begriff .öffnen. hat etwa den Inhalt: "Möglichkeit zum Kauf 
geben" ("Trotz Renovierung des Ladens ist das Geschäft geöffnet; Verkauf vor 
der Ladentür"). Bei meiner Analyse hat eine *geöffnet*-Konstituente diese 
lexikalische Bedeutung, da eine Form des Verbs gebraucht und Vf zugeordnet 
ist. (Das Verhältnis zu .offen. ist hier unwichtig.)

3. Das Argument mit Subjekt bei nicht-partizipialem Prädikativ: ist nicht 
stichhaltig, könnte gerade durch Typ des Prädikativs bedingt sein: verbales 
Komplement interagiert mit verbalem Nucleus. - Das erweist sich als 
zutreffend.

                                   4.ANALYSE von 

(1) "Geöffnet ist." (Absichtlich vereinfachte Fassung von Nolda (1).)

                                       SYNTAX

a. KONSTITUENTENSTRUKTUR

*geöffnet*1 Vf, *ist*2 Vf, *geöffnet ist* VGr

b. MARKIERUNGSSTRUKTUR  

Offensichtlich, auf Grundlage von *öffnen*W (s.o.) und dem üblichen 
Copulaverb *sein*W.

c. INTONATIONSSTRUKTUR

Satzakzent (nichtkontrastive Satzbedeutung) auf *öff*.

d. LEXIKALISCHE INTERPRETATION

Vgl. (b).

e. GRAMMATISCHE RELATIONEN

<f0, *geöffnet*1, *ist*2> € comp2((1))                                   

<*ist*2, *geöffnet ist*> € nuc((1))

                                        SEMANTIK

a. PROPOSITION

lambda V V1: (Et)(Ex2)(<t, x2, 'geöffnet1'(-, V, V1)> € u3.sein. geschnitten 
mit reb3(*ist*2, V, V1, .sein.) & ['Präsens für t, V und V1 '])

Es gibt also t und x2, so daß x2 während t die genannte Eigenschaft hat und t 
nicht-vergangen ist.

b. RELEVANTE EIGENSCHAFT

Sie ergibt sich in der üblichen Weise aus der syntaktischen Zwischenbedeutung 
von *geöffnet*1:

'geöffnet1' = lambda x2' V' V1': (Ex)(Ex1)(Et1)(<x, x1, x2'> €  u3.öffnen.
geschnitten mit reb3(*geöffnet*1, V, V1, .öffnen.) & <x, t1> € Abgeschlossen 
& ['Präteritum für t1, V' und V1' '])

c. EINSETZUNG (b) IN (a) (Lesung)

Es gibt t und x2, so daß für x2 während der bezüglich Sprecher und Äußerung 
nicht-vergangenen Zeit t gilt: Es gibt eine Öffnungshandlung x eines x1 mit 
x2 als Geöffnetem, die zu einer Zeit t1 abgeschlossen ist, die bezüglich 
Sprecher und Äußerung vergangen ist.

Mir scheint diese Proposition einfach richtig. (In Noldas Beispielsatz tritt 
anscheinend eine generische Komponente auf, die mit der existentiellen 
Einführung eines betroffenen Gegenstands - x2 - offensichtlich nicht erfaßt 
ist. Diese Komponente - sofern sie wirklich vorhanden ist - dürfte anderswo 
anzusiedeln sein.) 

d. ZUM KOMPOSITIONSPROZESS

In der Proposition ergibt sich (Et) durch nuc, (Ex2) aufgrund des leeren 
Subjekts, Rest wie üblich.

Die syntaktische Zwischenbedeutung für die Partizipialkonstituente läßt sich 
auf einen Schlag durch die Kategorieninterpretation gewinnen: durch eine 
semantische Funktion für Part(-, S) bei Prät(-, S) und 3-stelligem 
Handlungsbegriff als lexikalischer Bedeutung der Konstituente. Beziehungen 
zum werden-Passiv könnten explizit gemacht werden. Ein stärker gegliederter 
kompositioneller Aufbau dürfte möglich sein, ist mir aber nicht gelungen. 

                               5. BEMERKUNGEN

a. Zu Imperativformen mit leerem Subjekt tritt nun noch das leere Subjekt bei 
Gebrauch von *sein*W mit partizipialem Prädikativum. Der semantische Effekt 
ist derselbe wie bei allen leeren Komplementen: Existentielle Einführung 
eines Gegenstands mit bestimmter Rolle.

b. Die Analyse vermeidet die Einführung eines neuen Partizipialwortes mit 
neuer Bedeutung, die sich von der Bedeutung entsprechender 
Partizipialadjektive (soweit vorhanden) unterscheiden würde und durch einen 
produktiven Wortbildungsprozeß zu gewinnen wäre. Zugleich vermeidet sie 
Kategorieninterpretationen, die neue Gegenstände (hier die Zeit t) einführen 
würden. (Entsprechende semantische Funktionen sollten der Wortbildung 
vorbehalten bleiben.)  

c. Da es sich hier um den schwierigsten Fall handeln dürfte, wenn man das 
traditionelle Zustandspassiv nach diesem Muster neu analysieren möchte, 
spricht meine Lösung - falls sie haltbar ist - sehr für die Reanalyse.

d. Eine entsprechende Reanalyse für das Vorgangspassiv (nunmehr das einzige 
Passiv, vom bekommen-Passiv einmal abgesehen) ist unmöglich wegen der Nicht-
Existenz eines geeigneten Copulaverbs *werden*W. 

e. Das sog. unpersönlich Vorgangspassiv kann weiterhin als subjektlos (also 
auch nicht mit leerem Subjekt) betrachtet werden, und die von mir in Lieb 
1992 vorgesehenen Analysen bleiben unberührt.

f. Noch zu durchdenken bleibt der Status von Fällen wie dem folgenden: 
(Situation: Sportfest.) "Gelaufen ist schon. Jetzt kommt der Hochsprung."

Mit besten Grüßen,

Hans-Heinrich Lieb 



     



:      	Thu, 8 Nov 2007 17:56:53 +0100
Send reply to:  	Discussion of topics in Integrational Linguistics
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From:           	Andreas Nolda <andreas.nolda at CMS.HU-BERLIN.DE>
Organization:   	Humboldt-Universität zu Berlin
Subject:        	Re: Participles and the General Valency Hypotheses
To:             	IL-LIST at LISTSERV.LINGUISTLIST.ORG

Liebe Kollegen,

hier eine -- etwas verspätete -- Anmerkung zum letzten Beitrag von 
Hans-Heinrich Lieb.

> gegen meine heutige 'Zustandspassiv'-Analyse läßt sich einwenden:
> Die in (3) und (6) angesetzte Zeit t hat keine richtige Grundlage
> (sie müßte durch eine ungewöhnliche Interpretation des Tempus
> gewonnen werden). Als Alternative könnte man DOCH eine
> Kopulaverbkonstruktion ansetzen, bei der t wie üblich aus der
> Bedeutung .sein. von *war3* hervorginge, mit normaler
> Interpretation des Tempus.

Eine Reanalyse von Zustandspassivformen als Konstruktionen aus 
Kopulaverb + Partizip (bzw. Partizipialgruppe) scheitert, soweit ich 
sehe, an unpersönlichen Zustandspassiv-Konstruktionen:

(1) Aber geöffnet ist trotzdem, denn die Tankstellenpächter
    haben das Glück, seit Mittwoch früh wieder Strom zu haben.
    (FAZ 204, 2005, 9)

Ist das Prädikativ nämlich kein Partizip, muss das Subjekt in einer 
finiten Kopulaverb-Konstruktion realisiert sein:

(1') Aber offen ist *(der Laden) trotzdem.

Bei einer Zustandspassiv-Analyse hingegen sind unpersönliche 
Konstruktionen zu erwarten, da es ja auch unpersönliche 
Vorgangspassiv-Konstruktionen gibt:

(2) Es ist zwar ein Feiertag, aber gearbeitet wird trotzdem.
    (http://www.205mi16.de/andi)

Mit besten Grüßen,

Andreas Nolda
-- 
Dr. Andreas Nolda           http://www.linguistik.hu-berlin.de/~nolda/

Humboldt-Universität zu Berlin
Philosophische Fakultät II
Institut für deutsche Sprache und Linguistik

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 Prof. Dr. Hans-Heinrich Lieb
 FREIE UNIVERSITÄT BERLIN
 FB Philosophie und Geisteswissenschaften
 Institut für Deutsche und Niederländische Philologie
 Habelschwerdter Allee 45
 14195 BERLIN

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 lieb at zedat.fu-berlin.de
 Sekretariat (030) 838-54233
 www.germanistik.fu-berlin.de/il/lieb.html
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