LL-L "Language politics" 2010.08.01 (05) [DE-NDS]

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Sun Aug 1 22:22:22 UTC 2010


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*L O W L A N D S - L - 01 August 2010 - Volume 05*
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From: M.-L. Lessing <marless at gmx.de>

Subject: LL-L "Language politics" 2010.07.31 (02) [NDS]



Liebe Leute, ich würde gern über diesen Vorstoß "Deutsch ins Grundgesetz"
noch etwas mehr Meinung gemeinsam mit Euch bilden, denn meine bisherige
Meinung ist nicht so eindeutig, wie es hier zu sein scheint, und mich
überrascht diese Einhelligkeit. Deutsch hat ja eine Doppelrolle: Als eine
"große" Sprache unterdrückt es die Minderheitensprachen in seinem
Einzugsgebiet, aber zugleich ist es auch in der Defensive gegenüber dem
"Globish" oder wie immer man es nennen mag, das zwar so richtig niemandes
Muttersprache ist, dem gegenüber aber alle Sprachen Minderheitensprachen zu
sein scheinen. Der Versuch, Deutsch ins Grundgesetz zu schreiben, ist meines
Erachtens vor allem ein Beleg für die Defensiv-Rolle. Denn im Ernst: Die
Minderheitensprachen sind doch schon "besiegt", ihnen gegenüber ist Deutsch
als Verkehrssprache Chef auf ganzer Linie. Deutsch als Staatssprache ins
Grundgesetz zu schreiben kann also nicht als erneute Dominanzgeste gegenüber
dem Plattdeutschen, Friesischen und Sorbischen gedeutet werden, das wäre ja
lächerlich, oder? Dagegen beißt der besonders herzhaft zu, der sich bedroht
fühlt. Und dieses Gefühl greift zunehmend Raum, was die deutsche Sprache
angeht.



Welche Folgen, ganz konkret, würde so ein Grundgesetzeintrag haben?
Vielleicht sind hier Leute mit rechtlichen Kenntnissen, die uns da
weiterhelfen könnten. Wie Anja und Hanne sagen, gilt die Charta, den
Minderheitensprachen können sie also nicht an den Pelz; oder kann man
irgendwie an der Charta kratzen, wenn sie plötzlich dem Grundgesetz
widerspricht?? Aber ich setze voraus, dass das niemand will, auch Lammert
nicht.



Nun, was kann dann gemeint sein mit diesem Grundgesetz-Vorstoß -- wo ist
Deutsch in der Defensive? Die Problemstellen, die mir selber einfallen, sind
diese: Einerseits ist da das furchtbare Germish. Wir hatten gerade einen
Massenunfall in Deutschland -- in Duisburg wurden auf einem _Event_, der
_Love Parade_, etliche junge Leute zerquetscht, weil die _Security_ versagte
etc. etc. etc. -- als dann noch ein _Crowd Manager_ seinen Senf dazugeben
musste, beschlich mich das Gefühl, die ganzen Sicherheitskräfte könnten sich
vielleicht besser verständigen, wenn sie miteinander Deutsch redeten. Das
könnte Menschenleben retten -- vielleicht nicht alle, aber ein oder zwei...?
-- Könnte eine Staatssprache Deutsch dagegen etwas ausrichten, oder ist so
eine Entwicklung schlicht nicht kontrollierbar, und ist es vielleicht auch
nicht wünschenswert, sie eindämmen zu wollen?



Als Zweites fällt mir ein, dass es mit der Integration bestimmter
Zuwanderergruppen besser verlaufen könnte, wenn es z.B. in D nicht mehr
möglich wäre, den (deutschen) Führerschein in fremdsprachigen Prüfungen
abzulegen. Das ist nicht direkt eine sprachliche, mehr eine
gesellschaftliche Aufgabe, aber könnte da so eine Erhebung zur Staatssprache
nützlich sein? ((Und könnte jemand, der sich rigoros auf die Sprachencharta
beruft, auf einer plattdeutschen oder friesischen Führerscheinprüfung
bestehen? Warum soll es sie schließlich nicht auf Platt geben, wenn es sie
auf Türkisch und Russisch gibt?))



Alle diese Punkte scheinen mir nicht besonders starke Argumente zu sein,
aber sie scheinen mir immer noch wahrscheinlicher als die Annahme, hier gehe
es doch wieder nur gegen unsere Minderheitenkultur. Wer weiß, ob einer wie
Lammert überhaupt weiß, was Plattdeutsch ist? Wen scheren wir noch? Wir
sollten uns da nicht zu hoch hängen; dazu sind wir schon zu weit
heruntergekommen. Wir sind nicht mehr gefährlich. -- "Globish" und das
Zuwandererproblem dagegen sind es, wenn man sich auf diesen Standpunkt
stellen will. Vielleicht fällt jemandem etwas noch Plausibleres ein?



Es kann natürlich auch sein, dass Lammert & Co. diese Sache als reinen
Publicity-Gag (oh NEIN!! Ich red auch schon so) betreiben und "Deutsch als
Staatssprache" irgendwann als dekorativer Ballast im Grundgesetz rumsteht
wie der Tierschutz -- ohne besondere Auswirkung. Vielleicht ist das der
wahrscheinlichste Grund.



Aber auch dann: Kein Grund für uns, in Panik zu geraten!



Hartlich



Marlou/Hamburg



From: Anja Meyfarth <aurinel at spray.se>

Subject: LL-L "Language politics" 2010.07.30 (04) [DE-NDS]



Ack, Hanne,

de Lammert hett gor nich dacht. Gifft jümmers noch so männig een, de glöövt,
dat dat heten schall "Een Riek, een Spraak". Dor ssteckt noch veel in de
Köpp, wo de Lüüd nie nich över nahdacht hebbt.
De Charta is tominnst ratifizeert, so dat wi nah Recht un Gesetz nich wedder
trückköönt. De Rest liggt ook bi uns Snackers, wo faken wi uns Spraak nütten
deiht un wat wi uns truut, uns Rechten intofordern.

Gröte ut Kiel,

Anja



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From: R. F. Hahn <sassisch at yahoo.com>

Subject: Administrativia


Danke, Marlou.



Eine Sprache im Grundgesetz aus defensiven Gründen festzulegen dürfte wohl
nur bedeuten, dass man sie davor schützen will, dass sie von einer anderen
Sprache ersetzt wird. Man will also die Hauptrolle dieser Sprache verewigen.
Das würde auch „natürliche“ Veränderungen verhindern, theoretisch zum
Beispiel auch das Verbreiten einer der Minderheitssprachen und das Schwinden
der offiziellen Hauptsprache.



Du erwähntest in diesem Zusammenhang das „Problem“ von Anglizismen. Die
„Reinhaltung“ der Sprache kann allerdings durch die erwähnte
Grundgesetzänderung nicht gewährleistet werden. Dafür wäre eine separate
Änderung nötig, und die wäre höchst problematisch und meiner Meinung nach
undemokratisch. Wie kann man fremde Einflüsse gesetzlich verhindern? Ein
deutsches Gegenstück der *Académie française* gründen, die vorschreibt,
welche Wörter erlaubt oder verboten sind? Oder ein Gegenstück der lettischen
Staatsbehörde, die das öffentliche Ausstellen von Fremdwörtern verbietet?
Vielleicht eine Sprachenpolizei, deren Beamte in Zivil Leute auf der Straße
verhaften, wenn sie in Privatgesprächen unerlaubte Fremdwörter benutzen?
Eins unserer Menscherechte würde dadurch entfernt werden.



Die Vereinigten Staaten haben keine grundgesetzlich festgelegte Sprache. Das
Englische ist lediglich *de facto* die Hauptsprache. Theoretisch könnte es
somit in Folge von demografischen Veränderungen ersetzt werden, zum Beispiel
vom Spanischen mit seiner rasch zunehmenden Sprecherzahl. Furcht eben davor
bewegte einige Amerikaner die Verankerung des Englischen im Grundgesetz zu
fordern. Gegner dieser Forderung behaupten, dass dies hauptsächlich
rassistisch begründet sei, und dass eine solche Sprachenverankerung eine
unnatürliche Starre verursachen würde.



Gruß!

Reinhard/Ron
Seattle, USA



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