LL-L "Phonology" 2011.06.21 (05) [DE-NDS]

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Wed Jun 22 01:11:48 UTC 2011


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 L O W L A N D S - L - 21 June 2011 - Volume 05
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From: Joachim <Osnabryg+Lowlands at googlemail.com>
Subject: LL-L "Etymology" 2011.06.21 (03) [DE]

Am 21.06.11 19:16, schrieb Hannelore Hinz:

So as ümmer Lit.: Wossidlo/Teuchert

*Is all'ns wedder in de Reig'. *(Ist alles wieder gut.)

Liebe Hanne & Interessierte,

das sehe ich noch nicht, dass "alles wieder gut" bzw. *'in de
riige/reeg'*sei,  jedenfalls nicht der Disput über die Frage, ob
Nordost-Niedersächsisch
(eingeschlossen Mecklenburgisch) "Reig" [raix] und "reigen" [raigen]
niederdeutsch oder verhochdeutscht ist.

Wenn Wossidlo/Teuchert den Mundart-Eintrag

"Reig', Reeg', Reih f." für hochdeutsch "Reihe" schreiben, dann meinen sie -
da sie auch sonst die hochdeutsche Rechtschreibung übernehmen -
wahrscheinlich die Aussprache:

"[raix, re:x, rai]"

aber [raix] sowie [rai] sind meines Erachtens eine Verhochdeutschung bzw.
Missingsch.

Wenn sie (W/T) dann zur Erläuterung noch schreiben:

"ablautend daneben seltenes *Rig' *f. und das Verbum *rihen, rigen; *doch
ist auch von *Reig' *ein Verbum *reigen* abgeleitet",

dann wird es ziemlich konfus. Das Mittelhochdeutsche und
Mittelniederdeutsche Original des Verbum lautet:

mhd. rîhen, mnd. rîgen,

ablautend - in der *Vergangenheitsform* - mnd. wohl "ik reeg" (westfälisch
"ik raig"), wi riëgen", also eher umgekehrt als Wossidlo/Teuchert es
darstellen.

Eine allgemeine Entwicklung von altsächsisch lang-i zu [ai] gibt es
niederdeutsch nicht - sonst würde es ja auch "teid" [tait] für hd. 'Zeit'
und 'kreigen' [kraig'n] für Infinitiv hd. 'kriegen' lauten, tut es aber
meines Wissens selbst Mecklenburgisch nicht, sondern es wird auch dort
plattdeutsch "Tied" [ti:t] und "kriegen" ['kri:ɣən / 'kri:gn] gelautet.

Im Fall von "kriigen, kriegen" ist das nicht weiter verwunderlich, weil es
ja auch hochdeutsch so lautet.

Bei "Tied" [ti:t] wird es daran liegen, dass (zudem mundartlich viel
gebrauchte) Worte, die niederdeutsch konsonantisch anders lauten als
hochdeutsch, weniger anfällig sind für die Verhochdeutschung.

Hingegen sind
mhd. rîhen, mnd. rîgen

wahrscheinlich anfälliger für die Verhochdeutschung bzw. für eine Mischform
bzw. Missingsch, weil sie *konsonantisch* (fast) gleichlauten wie
Hochdeutsch.

Das ist aber nur meine spontane Begründung/Vermutung über den Unterschied in
der Anfälligkeit der betreffenden Worte.

Eine aus Mecklenburgisch-Niederdeutsch "reeg" (für hd. *Reihe*) abgeleitete
niederdeutsche Verbform könnte wohl "reegen, reeigen" [re:gn, rɛɪɣən] o. ä.
lauten, aber nicht "reigen" [raigen]. Sie lautet west-niederdeutsch korrekt
"riigen" [ri:ɣən, ri:gən] aus "riig, riige".

Insofern bleibe ich bis auf Weiteres dabei, dass die in Wossidlo/Teuchert
angeführten mecklenburgischen Worte "Reig', Reih, reigen"
(halb-)hochdeutsche Formen sind und *keine nieder*deutschen
Weiterentwicklungen.

Met echt-westfœlsken »Goudgaun!«
joachim
Kreimer-de Fries, Osnabrügge => Berlin-Pankow

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From: R. F. Hahn <sassisch at yahoo.com>
Subject: Phonology

Lieber Joachim,



"Reig', Reeg', Reih f." für hochdeutsch "Reihe" schreiben, dann meinen sie -
da sie auch sonst die hochdeutsche Rechtschreibung übernehmen -
wahrscheinlich die Aussprache:

"[raix, re:x, rai]"



Ich nehme ganz stark an, dass es sich um die Schreibung von Zwielauten im
Schleifton handelt. Erstens wird das Apostroph am Ende eines Wortes dafür
benutzt, nämlich als den Ausfall der Endung *-e* andeutend, und zweitens ist
dies völlig übereinstimmend mit anderen autentischen Mundarten.



Der Schleifton wird durch die Elision des *-e *ausgelöst. Die Silbenlänge
bleibt jedoch bestehen, wird allerdings der vorhergehenden (und nun
wortletzten) Silbe hinzugefügt. Diese Längung findet nur bei einem
stimmhaften Mitlaut statt. Da diese Regel der Regel der wortletzten
Mitlautsverhärtung (d.h. stimmhaft > stimmlos) vorausgeht, bleibt der
Mitlaut stimmhaft, als wäre das *-e* noch gegenwärtig. In gewissen Mundarten
entfällt dabei das /-d/ völlig.



/brüüde/ → brüüd’ (schriftlich *Brü(d’)*) [bryːˑ(d)] ‘Bräute’ (Einzahl *
Bruud* [bruːt], fälschlich *Bruut* geschrieben < HD *Braut*)

/lüüde/ → lüüd’ (schriftlich *Lü(d’)*) [lyːˑ(d)] ‘Leute’

/neeze/ → nees’ (schriftlich *Nẹs’*) [neːˑz] ‘Nase’

/veege/ → veeg’ (schriftlich *Wẹg’*) [veːˑɣʲ] ‘Wege’ (Einzahl *Weg* [vɛç],
fälschlich *Wech* geschrieben)

/daage/ → daag’ (schriftlich *Dag’*) [dɒːˑɣ] ‘Tage’ (Einzahl *Dag* [dax],
fälschlich *Dach* geschrieben)

/hööge/ → höög’ (schriftlich *Họ̈g’*) [hœːˑɣʲ] ‘Freude’, ‘Vergnügen’

/deive/ → deiv’ (schriftlich *Dev’*) [dɛˑɪv] ‘Diebe’ (Einzahl *Deef* [dɛɪf])

/böüge/ → böüg’ (schriftlich *Bög’*) [bœˑɪɣʲ] ‘Beuge’

/reige/ → reig’ (schriftlich *Reg’*) [rɛˑɪɣ] ‘Reihe’



In [ai]-Mundarten, wie Hannes, ist das letztgenannte Beispiel
folgendermaßen:



/reige/ → reig’ (schriftlich *Reig’*) [raˑɪɣʲ] ‘Reihe’



(/ei/ → [ɛˑɪ] ~ [aˑɪ] ist mundartlich bedingt.)



In den nordniedersächsischen und gewissen mecklenburgischen Mundarten
bezeichnet *ee ~ eh ~ e* normalerweise den Zwielaut [ɛɪ] (äi). Bessere
Ortographien unterscheiden dies in beiden Mundartbereichen von dem langen
Einlaut [eː] ~ [ɛː]: *ẹẹ ~ ẹh ~ ẹ *oder *ää ~ äh ~ ä.*



Mehr: http://lowlands-l.net/grammar-new/sounds-vowels-long.php



Freundschaftliche Grüße,

Reinhard/Ron
Seattle, USA

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